Die Chaosschwestern sind unschlagbar - Mueller, D: Chaosschwestern sind unschlagbar
hundert Jahre einen Kussfeigling nennen wird?
Aber, WENN ich es mache, WIE um alles in der Welt soll ich es machen? Ich kann ja wohl nicht wirklich zu irgendjemandem hingehen und ihn ganz freundlich um einen Kuss bitten!
Könnte ich ihm vielleicht Geld bieten? Hm, wie viel hätte ich denn? Zwanzig Euro?
Nein! Was für ein Quatsch! Ich kann doch einem Jungen keinen Kuss ABKAUFEN! Wie sieht das denn aus? Als ob ich anders keinen kriegen könnte!
Auf der anderen Seite – wie kriege ich anders einen Jungen dazu, mich zu küssen?
Hilfe – Hilfe – Hilfe!
Und außerdem: Hat Tessa vielleicht recht? Müsste man mit dreizehn wirklich schon geküsst haben? Haben denn alle anderen dreizehnjährigen Mädchen schon geküsst? Bin ich möglicherweise die Einzige, die total … anders ist?
Ach.
Zum Glück war Rema heute wieder die liebste, beste Rema der Welt! Rema ist immer ein Trost.
Von der Wette hab ich ihr natürlich nichts erzählt. Aber von den Typen, die mich gestern in der Stadt angesprochen haben.
»Livi, Livi«, hat sie gesagt und gelacht und plötzlich richtig jung ausgesehen, »hab ich dir nicht immer gesagt, dass du eine kleine Schönheit bist?«
Total gefreut hat sie sich für mich.
»Siehst du«, hat sie gerufen, »und du beschwerst dich immer, weil du Opa Richards rotblonde Haare geerbt hast! Aber nun merkst du’s! Die Leute beneiden dich darum!«
Na ja, hab ich leise gedacht, nun bleib mal auf dem Teppich, Remi! Wirklich beneiden tut mich ja nun keiner um meine roten Haare. Dass die mich fotografieren wollen, heißt wohl noch lange nicht, dass die auch so aussehen wollen wie ich!
Aber irgendwie war Remas Freude doch ein bisschen ansteckend.
Trotzdem musste ich ihr natürlich verklickern, dass mein Problem darin besteht, dass ich so einen Kram eigentlich nicht machen will. Weil ich diesen ganzen Konsumrausch, der durch Modefotos und die Werbung angeheizt wird, nicht auch noch persönlich unterstützen will.
Doch da kam sie mit dem Argument, dass ich dadurch ja immerhin viel Geld für meine politischen Projekte hätte. Fotos werden anscheinend wirklich nicht allzu schlecht bezahlt. Rema fand die ganze Idee mit den Modefotos jedenfalls echt großartig. Im Prinzip zumindest. Bis wir auf einen ganz speziellen Haken an der Sache kamen. Cornelius!
»Na ja«, meinte Rema und guckte mich sehr zuversichtlich an, »ich glaube, richtig sauer wird Cornelius nur, wenn er überhaupt gar nicht gefragt wird. Das kann man doch auch ein bisschen verstehen, oder? Immerhin ist er euer Vater. Und ihr seid noch minderjährig.«
»Du meinst also, er würde es erlauben, wenn ich ihn frage?«
»Ähm, na ja«, wiederholte Rema und sah dann doch nicht mehr ganz so zuversichtlich aus, »vielleicht sollte Cornelius sich lieber erst mal in aller Ruhe erholen und wir fragen einfach nur Iris. Was meinst du?«
Ich lächelte. »Remi, du bist ein Schatz!«
Rema lächelte jetzt auch wieder. Zufrieden.
Ich gab ihr einen Kuss. »Könntest du dann vielleicht mit Iris sprechen?«
Da seufzte Rema, als hätte ich von ihr verlangt, zehn Liegestützen zu machen. »Also wirklich, Livi!« Aber sie lächelte immer noch. »Na schön. Mach dir keine Sorgen! Wenn du das wirklich willst, kriege ich Iris schon rum!«
»Rema, du bist die Allerbeste!«
Und an der Stelle merkte ich, dass ich mich ganz klar so benahm, als hätte ich mich schon entschieden. Als würde ich mich freuen, die Erlaubnis zu kriegen und so, meine ich.
Aber will ich das tatsächlich? Habe ich mich entschieden? Denn jetzt, wo ich hier liege, fühlt sich die Vorstellung,
dass ich vor einer Kamera stehen soll, mit lauter Leuten um mich herum, die ich nicht kenne, nicht mehr allzu verlockend an.
Was passiert denn überhaupt genau bei so einem Fotoshooting?
Uh, und warum höre ich in dieser Sekunde Tessas Stimme in meinem Kopf, die sagt: »Haha, Livi! Du hast ja bloß Schiss zu richtigen Modeaufnahmen zu gehen! Angsthase, Pickelnase!«
Puh, blöde Tessa! Zum Glück habe ich niemandem außer Rema davon erzählt!
Schon wieder die doofe Frage, ob man bloß feige ist oder ob man das Richtige tut. Ach Mann, was ist denn nun »feige«? Und was ist »richtig«?
Wann soll man Nein sagen? Wann Ja?
Und warum scheine ich die Einzige in unserer Familie zu sein, die sich dauernd solche Fragen stellt?
Iris war heute den ganzen Tag nicht zu sprechen. Gleich nach dem Frühstück hat sie sich in ihrem Arbeitszimmer verbarrikadiert und jeden angeknurrt, der nur mal den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher