Die Chorknaben
dieser Gelegenheit auch gewisse Anrufe entgegennahm, die ihr zweihundert Dollar die Nacht eintrugen, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kam.
Calvin Potts arbeitete seit sechs Monaten mit Francis Tanaguchi zusammen, und die beiden waren langsam unzertrennlich geworden. Calvin konnte das nicht so recht begreifen, da er grundsätzlich etwas gegen Menschen hatte und Francis Tanaguchi darüber hinaus mit Sicherheit die schlimmste Nervensäge der gesamten Wilshire-Station war. Aber so war es nun einmal. Sie hingen ständig zusammen, so daß sie schon allgemein als The Gook und The Spook bekannt waren.
Es gab berechtigte Gründe, weshalb Francis Tanaguchi als unerträgliche Nervensäge galt. Er tat verschiedene Dinge, die einfach ärgerlich waren; einige davon mehr oder weniger permanent, andere in gewissen regelmäßigen Abständen. Zu den Angewohnheiten, die ihm angekreidet wurden, gehörte unter anderem, daß er für vier Uhr morgens Telefonanrufe in den Wohnungen der anderen Chorknaben arrangierte. Eine geheimnisvolle Frau mit einer sinnlichen, aufreizenden Stimme redete dann auf den verschlafenen Chorknaben ein, während er im Dunkeln langsam zu sich kam. Er wurde mit einer leise geflüsterten sexuellen Litanei berieselt, die so ziemlich jeden verschrumpelten Zylinder aus Fleisch, Muskeln und Adern in einen Diamantenschneider verwandeln hätte können. Obwohl Francis Tanaguchi allgemein als Urheber dieser Anrufe verdächtigt wurde, konnte man es ihm doch nie nachweisen; er stritt auch jegliche Schuld ab. Betrunken und nüchtern, hatte Calvin Potts ihm gut zugeredet, ihm gedroht und ihn zu bestechen versucht, seine Urheberschaft zuzugeben – ohne Erfolg. Niemand hatte die ›Drachenlady‹ je zu Gesicht bekommen, wie sie die Anruferin inzwischen nannten. Und niemand hatte es geschafft einzuhängen, bevor sie ihre Litanei zu Ende heruntergebetet hatte. Alle hatten sie feuchte Träume von ihr. Spencer van Moot war von seiner Frau das dritte Mal verlassen worden, als sie über den Zweitapparat die erotischen Verheißungen mitanhörte, die das Blut jedes Mannes zum Kochen gebracht hätten.
Der größte Schaden wurde durch solch einen Anruf wahrscheinlich Pater Willie Wright zugefügt, als eines Nachts sein pummeliger Knödel von Frau neben ihm im Bett schnarchte. Pater Willie nahm den Hörer ab und saß wie erstarrt im Dunkeln, während die Drachenlady Versprechungen machte, ihren Körper und den Willies auf eine Weise zu verrenken, von der jeder vernünftige Mensch gewußt hätte, daß dies unter den gegebenen körperlichen Voraussetzungen unmöglich war. Allerdings war Pater Willie in diesem Augenblick alles andere als vernünftig. Er war verschlafen, verträumt und noch nicht ganz wach. Er war sprachlos und außer sich. Die Drachenlady fing an, unglaublich wollüstige, unanständige, schmatzende Geräusche von sich zu geben. Und dann hängte sie auf.
Pater Willie lag für eine Weile still da und fiel dann über die schlafende Zeugin Jehovas her, welche Sex nur duldete, wenn sie wach und darauf gefaßt war.
Am nächsten Nachmittag wartete Pater Willie Wright vor dem Appell, sein linkes Auge von dem verzweifelten Schlag einer pummeligen kleinen Faust blutunterlaufen, im Umkleideraum auf Francis Tanaguchi und forderte ihn zu einem Kampf auf Leben und Tod im Keller der Wilshire Station heraus. Während Francis noch seine Unschuld beteuerte, traten bereits Calvin Potts und verschiedene andere Kollegen dazwischen. Pater Willie Wright schluckte Tränen der Wut hinunter, als er darauf in den Appellraum geführt wurde, und bei dieser Gelegenheit hörten ihn die anderen auch zum erstenmal fluchen.
»Du mieser Wichser!« brüllte Pater Willie. »Fick dich doch in deinen schlitzäugigen Arsch, du gottloser Wichser!« Francis Tanaguchi hatte noch verschiedene andere unangenehme Angewohnheiten. Unter anderem biß er Leute in den Hals. Begonnen hatte das Ganze, als sich Francis in einem miesen Melrose Boulevardkino anläßlich eines Bela-Lugosi-Festivals einen Vampirfilm ansah. Das Publikum setzte sich hauptsächlich aus Schülern und Studenten zusammen, die brüllten und tobten und Hasch rauchten und Popcorn mampften. Francis befand sich in Begleitung einer unnahbaren Stenotypistin namens Daphne Simon, die während der Tagschicht im Archiv des Wilshire-Reviers arbeitete und sich kaum einmal mit einem Polizisten verabredete, da sie fand, daß diese Kerle fast ausnahmslos zu geil waren. Francis hatte sich allerdings bei ihr
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