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Die Chorknaben

Die Chorknaben

Titel: Die Chorknaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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mit den schlechtesten Menschen zu tun haben, und das wiederum nur in den miesesten Situationen. Ich wollte einfach nur die Gründe für unseren Zynismus erklären. Das ist alles, was ich gesagt habe, und ich wünsche inzwischen, ich hätte meine große Klappe gehalten.«
    »Ganz meiner Meinung«, grunzte Roscoe Rules. »Dieses geschwollene Geschwafel. Ein Polizist braucht doch höchstens hundert Wörter in seinem Wortschatz.«
    »Die einzigen feinen Wörter, die ich verwende, habe ich auf der Polizeiakademie gelernt, Roscoe«, fuhr Baxter fort. »Worte wie Notdurft und Blutung.« Baxter nahm einen Schluck gekühlten Wodka. »Und du weißt sehr wohl, Roscoe, daß selbst du euphemistische Ausdrücke gebrauchst. Du nennst zum Beispiel deinen Birnenmatscher einen Schlagstock, weil es die Herren von der Direktion so wünschen. Ich weigere mich, so dazu zu sagen. Ein Schlagstock ist doch ein Spielzeug für kleine Mädchen. Ohne die geringsten phallischen Anspielungen. Wenn ich schon was mit mir herumtrage, womit ich anderen die Köpfe einschlage, dann soll es wenigstens Freudsche Assoziationen bergen. Das habe ich auf der Graduate school gelernt. Alles muß Freudsche Konnotationen haben.«
    »Du willst mich wohl verarschen, Slate?« drohte Roscoe und versuchte, leicht wankend, aufzustehen.
    »Weißt du, Roscoe, ein Student würde dich liebend gern mit so einem tuntigen Wort wie ›effeminiert‹ bezeichnen. Das ist eines der Lieblingsschimpfworte unter Studenten. Und von deinem Schlagstock würden sie sagen, daß in Wirklichkeit das Symbol deiner sexuellen Identität das hölzerne Anhängsel ist, das du in deinem Schließfach auf der Wache aufbewahrst. Mit anderen Worten, dein Schwanz ist im Schließfach.«
    »Ich kann dich wirklich nicht ab, Slate, und ich konnte dich auch noch nie ab«, zischte Roscoe Rules, der Baxter Slate tatsächlich genauso wenig ausstehen konnte wie Harold Bloomguard, Francis Tanaguchi, Calvin Potts und Spermwhale Whalen, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Er tolerierte lediglich seinen Partner Dean Pratt, der ihm allerdings auch schon auf die Nerven zu gehen begann, und Pater Willie Wright, der Angst vor ihm zu haben schien.
    »Reden wir doch lieber von volkswirtschaftlichen Fakten als von Philosophie, Roscoe«, forderte Baxter Slate den fiesesten aller Chorknaben heraus. »Ich finde, die inflationäre Phase folgt auf die Prognose der defizitären Mäander von Herzkranz-Harry, daß Roscoes sich in Gefangenschaft nicht fortpflanzen und daß Cahndu, der Magier, ein Cousin des Kondors von Santa Barbara ist.«
    »Aus diesem Gefasel werde ich um keinen Fatz schlauer als aus dem Gesabber von vorhin«, bestand Roscoe den Test.
    »Was meinst du, Baxter? Was meinst du?« meldete sich Wasmeinstdu-Dean zu Wort, der durch das Gras auf den Schauplatz des Wortgefechts zwischen Baxter Slate und Roscoe Rules zugekrochen war.
    »Was ich meine, Dean, mein Freund?« wandte sich Baxter Slate ihm zu. »Ich meine, daß ich ein lausiger Jugendbeamter war, das meine ich. Ich meine, daß ein geschlagenes Kind über die wundervolle Fähigkeit verfügt, sich seiner Folter anzupassen und seine brutalen Eltern trotzdem ohne Einschränkungen zu lieben. Ich meine damit, daß die Mutter eines sexuell mißbrauchten Kindes dessen Vater nicht wirklich verläßt oder das Kind vor diesem schützt, solange dieser einen guten Job hat oder die Mutter sonst irgendwie davor bewahrt, ein Leben unter finanziellen Bedingungen zu führen, die entsetzlicher sind als die Kindsmißhandlungen. Ich meine damit, daß die Unfähigkeit der menschlichen Rasse überwältigend ist und daß es nicht die Fähigkeit zum Bösen ist, die junge Polizisten wie dich und mich immer wieder von neuem verblüfft, Dean. Es ist viel eher die letztlich unbegreifliche Wertlosigkeit menschlicher Wesen. Die Menschheit verfügt nicht über die nötige Würde zum Bösen, und das ist die entsetzlichste Erfahrung, die ein Polizist macht.«
    »Was willst du damit sagen, Baxter? Was willst du damit sagen?« flehte Wasmeinstdu-Dean betrunken.
    »Ich will damit sagen, daß zwölf rechtschaffende Bürger in Wirklichkeit ein dummer Haufen ahnungsloser Neulinge sind, konditioniert durch den Heroismus von Fernsehgeschworenen, die unausweichlich den Angeklagten freisprechen, der seinerseits unausweichlich unschuldig ist. Ich will damit sagen, daß sie nie wirklich glauben können, daß ein natürlicher Vater seinem natürlichen Kind so etwas Unnatürliches antun

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