Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
Tanis. Verzweifelt versuchte er, sich auf den Füßen zu halten, taumelte blind vorwärts, nur um von umherirrenden Drakoniern niedergetrampelt zu werden. Stahl klirrte. Irgendwo hörte er Kitiaras Stimme. Sie versuchte ihre Soldaten wieder zusammenzuholen.
Seine Verzweiflung niederkämpfend, taumelte Tanis weiter. Sein Arm brannte schmerzhaft. Wütend parierte er einen Schwerthieb, trat mit seiner ganzen Kraft in den Körper der angreifenden Kreatur.
Dann unterbrach ein weiteres berstendes, splitterndes Geräusch die Schlacht. Einen atemlosen Moment lang sahen alle im Tempel nach oben in die dichte Dunkelheit. Stimmen verstummten vor Ehrfurcht. Takisis, Königin der Finsternis, hing über ihnen in ihrer lebendigen Gestalt. Ihr riesiger Körper schimmerte in Myriaden von Farben. So viele, so blendend, so verwirrend, daß die Sinne ihre schreckliche Erhabenheit nicht erfassen konnten und die Farben aus dem Bewußtsein der Sterblichen ausgelöscht wurden – in allen Farben und doch keiner –, so erschien Takisis. Die fünf Köpfe öffneten weit ihre Unheilsmäuler, Feuer brannte in unzähligen Augen, als ob jedes einzelne die Welt verschlingen wollte.
Alles ist verloren, dachte Tanis verzweifelt. Dies ist der Moment ihres endgültigen Sieges. Wir haben versagt.
Die fünf Köpfe erhoben sich im Triumph . . . Die kuppelförmige Decke spaltete sich.
Der Tempel von Istar begann sich zu krümmen und zu winden, baute sich neu auf, änderte sich, nahm wieder seine ursprüngliche Form an, die Tanis gekannt hatte, bevor die Dunkelheit ihn verzerrt und entstellt hatte.
In der Halle selbst schwankte die Dunkelheit, dann wurde sie von den silbernen Strahlen Solinaris, von den Zwergen Kerze in der Nacht genannt, zerstört.
U nd jetzt, mein Bruder, leb wohl.«
Raistlin holte aus den Falten seiner schwarzen Robe eine kleine runde Kugel hervor. Die Kugel der Drachen.
Caramon spürte seine Kräfte schwinden. Er besah seinen Verband: Er war blutgetränkt. Sein Kopf zerfloß, das Licht von seines Bruders Stab flackerte vor seinen Augen. Weit entfernt, wie in einem Traum, hörte er die Drakonier ihr Entsetzen abschütteln und ihren Marsch fortsetzen. Der Boden bebte unter seinen Füßen, vielleicht waren es aber auch nur seine zitternden Beine.
»Töte mich, Raistlin.« Caramon sah seinen Bruder mit Augen an, die jeden Ausdruck verloren hatten.
Raistlin hielt inne, seine goldenen Augen verengten sich zu Schlitzen.
»Laß mich nicht durch ihre Hände sterben«, sagte Caramon ruhig, als ob er um einen kleinen Gefallen bat. »Bereite mir ein Ende, schnell. Das schuldest du mir . . .«
Die goldenen Augen flackerten auf.
»Dir schulden!« Raistlin holte zischend Atem. »Dir schulden?« wiederholte er mit kaum hörbarer Stimme. Sein Gesicht war blaß im magischen Licht des Stabs. Wütend drehte er sich um und streckte seine Hand den Drakoniern entgegen. Blitze schossen aus seinen Fingerspitzen und trafen auf die Kreaturen. Vor Schmerzen und Verblüffung aufschreiend, fielen sie ins Wasser, das schnell aufschäumte und sich von ihrem Blut grün färbte, als die kleinen Drachen ihre Vettern verschlangen.
Caramon beobachtete das Ganze benommen, zu geschwächt und zu krank, um irgendwas zu fühlen. Er konnte noch mehr Schwerter rasseln, noch mehr Stimmen kreischen hören. Er sackte vornüber, seine Füße verloren den Halt, das dunkle Wasser überflutete ihn . . .
Und dann stand er auf festem Boden. Blinzelnd sah er sich um. Er saß auf dem Stein neben seinem Bruder. Raistlin hielt den Stab in seiner Hand.
»Raist!« stieß Caramon aus,Tränen stiegen ihm in die Augen. Er streckte seine zitternde Hand aus und berührte den Arm seines Bruders, fühlte den weichen Samt der schwarzen Robe.
Kühl zog Raistlin seinen Arm weg. »Damit du es weißt, Caramon«, sagte er, und seine Stimme war so eisig wie das dunkle Wasser. »Ich will dieses eine Mal dein Leben retten, und dann haben wir reinen Tisch gemacht. Dann schulde ich dir nichts mehr.«
Caramon schluchzte. »Raist«, sagte er leise. »Ich ... ich meinte das nicht so ...«
Raistlin ignorierte ihn. »Kannst du stehen?« fragte er barsch.
»Ich ... ich glaube, ja«, antwortete Caramon zögernd.
»Könntest du nicht . . . könntest du nicht dieses . . . dieses Ding benutzen, um uns hier herauszuholen?« Er zeigte auf die Kugel der Drachen.
»Ich könnte, aber du würdest diese Reise bestimmt nicht genießen, mein Bruder. Außerdem, hast du jene vergessen, die mit dir
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