Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
merkwürdigen Blick zu. »Kannst du dir nicht denken, woher diese Kleider stammen? Man hat sie für die Nacht der Seelen angefertigt. Sie haben uns Kleider gegeben, die für Geister bestimmt sind.«
Krukoslik gesellte sich mit grimmiger Miene zu ihnen. Sein Lager war von einem Seelenesser angegriffen worden. Deshalb würde er sie nicht begleiten. Ein paar Jäger vom Schwanclan sollten sie zur vereinbarten Stelle bringen.
Krukoslik stellte ihnen den Anführer des Schwanclans vor. Juksakai war ein eher schmächtig aussehender Mann mit eigenartig blassblauen Augen und einer in besorgte Falten gelegten Stirn, die sich nie glättete. Er bedeutete mit einer knappen Kopfbewegung, dass Renn auf dem Schlitten seines Sohnes und Torak auf seinem eigenen Platz nehmen sollten. Torak dankte ihm für seine Hilfe, aber Juksakai verzog nur verdrossen das Gesicht und schüttelte den Kopf.
Als Torak den Schlitten bestieg, sagte Krukoslik: »Es wäre mir lieber, wenn du es dir noch einmal überlegen würdest, Torak.«
»Du glaubst, ich schaffe es nicht«, erwiderte Torak.
»Na ja, du bist tapfer. Sehr tapfer, aber auch unbedacht. Menschen deines Schlags überleben nicht lange in den Bergen. Ich kann nur hoffen, dass ich mich täusche.« Er berührte sein Totemtier und trat vom Schlitten zurück. »Auf Wiedersehen, Torak. Möge der Clanhüter mit dir laufen!«
Juksakai rief den Hunden einen Befehl zu und schon ging es davon.
Sie ratterten den ganzen Tag lang über das Eis, bis es am Fuß der Berge leicht bergauf ging und schließlich, im nach und nach steiler werdenden Anstieg, mitten in die Berge hinein, deren Gipfel immer noch von Wolken verhüllt waren. Zu Anfang flogen Rip und Rek über den Schlitten her, bis sie mit einem Mal, wie von Geisterhand abberufen, verschwunden waren. Torak konnte keine Spur von Wolf entdecken. Vielleicht hatte sein Rudelgefährte die Adlereule gewittert und sich schleunigst verzogen.
Der Wind blies unbarmherzig und die tief hängenden Wolken trugen noch zu Toraks niedergeschlagener Stimmung bei. Er stellte sich vor, wie es sein musste, ein Verlorener in der Dunkelheit hinter den Sternen zu sein. »Du wirst ewig leben«, hatte Renn gesagt. »Und bis in alle Ewigkeit einsam sein.«
Sie schlugen ihr Lager in einer steinigen Senke auf, unweit der verhüllten, drohenden Berge. Von hier an war das Gelände für Schlitten unpassierbar. Ab morgen mussten sie zu Fuß weitermarschieren.
Die Schwäne bauten Unterschlüpfe aus den gegeneinandergestellten Schlitten, die sie mit Fellen bespannten und diese mit Steinen beschwerten. Obwohl weit und breit kein Baum zu sehen war, hatten sie im Nu ein Feuer geweckt. Jukasai zeigte dem überraschten Torak eine heidekrautähnliche Pflanze, die sogar nass brannte. Er wies Torak auch auf die Hufspur des Moschusochsen und zarte Wollbäusche hin, die sich im Gestrüpp verfangen hatten. »Seht euch vor. Sie sind schneller als Bisons und können Abhänge überwinden, die für euch viel zu steil sind. Sie sind die Beute des Verborgenen Volkes. Wir begnügen uns damit, ihre Wolle einzusammeln.«
Die Mitglieder des Schwanclans waren geschickte Eisfischer und hatten bald eine ansehnliche Menge Aalrutten und Saiblinge aus dem gefrorenen See geholt. Während des Nachtmahls taute Jukasai ein wenig auf und schilderte Torak und Renn, wie sein Clan in den Bergen mit Steinschleudern auf die Jagd ging. Er zeigte ihnen auch sein Clanabzeichen, ein geflochtenes Armband aus rot gefärbtem Schwanenleder. Die Schwäne gingen sehr sparsam mit der Haut ihres Totemtiers um: Die Kinder trugen die Schwimmfüße, Männer die Haut, Frauen die Federn und der Anführer schmückte sich mit dem Schnabel.
Nach dem Essen bestand Jukasai darauf, dass Torak und Renn ein – wie er es nannte – Dampfbad nahmen. Unter zusammengelegten Tierhäuten mussten sie Wasser auf heiße Steine träufeln und den Dampf einatmen. Ohne sich an der Prozedur zu beteiligen, sahen die Mitglieder des Schwanclans mit zermürbendem Schweigen zu.
Anschließend konnte sich Torak die Frage an Jukusai nicht verkneifen, was seinen Clan überhaupt dazu veranlasst hatte, ihnen zu helfen.
»Wir helfen nicht euch« entgegnete Jukusai. »Wir helfen uns selbst.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Renn besorgt.
Der Schwanenführer schaute Torak offen an. »Ihr seid auf der Suche nach der Seelenesserin. Vielleicht schickt sie uns den Tau, sobald sie euch hat, dann müssen die Gehörnten nicht mehr hungern.«
Nun begriff
Weitere Kostenlose Bücher