Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
Torak, was es mit dem Dampfbad auf sich gehabt hatte: Es war eine Reinigungszeremonie. Er lächelte säuerlich. »Also bin ich ein Opfer.«
Juksakai blieb ihm die Antwort schuldig.
Renn sah bestürzt drein.
In der Nacht waren die Hunde unruhig und Torak tat kaum ein Auge zu. Am nächsten Morgen wirkte Renn nicht minder erschöpft und vermied es, ihn anzusehen. Torak spürte die Spannung zwischen ihnen. Er ahnte schon seit einer Weile, dass Renn etwas vor ihm verbarg. Er fragte sich, wie lange es noch dauern mochte, bis sie den Mut aufbrachte, ihm alles zu erzählen.
Das Wetter war nicht aufgeklart. Die Berge blieben unsichtbar. Die Schwäne führten sie über einen verschneiten Pass, der sich stromaufwärts an einem eiligen Flüsschen entlangwand. Das Gelände war derart steil, dass Torak und Renn beim Klettern die Hände zu Hilfe nehmen mussten und schließlich atemlos keuchend das Schlusslicht bildeten.
Die Schwäne schlugen ihr Lager am Ufer auf, unmittelbar am Eingang einer tiefen Klamm. Rasch wurden zwei Unterschlüpfe aufgeschlagen, indem Tierhäute zwischen bereits bestehenden Wänden aus Stein und Torf gespannt wurden – Überresten früherer Schamanenhütten, wie Jukasai erklärte.
Völlig erschöpft plumpste Renn auf einen Felsbrocken und ließ den Kopf auf die Knie sinken.
Auch Torak schnappte immer noch nach Luft. »Was ist denn nur los mit uns?«, stieß er keuchend hervor.
»Nach und nach kommen wir dem Himmel näher«, sagte Juksakai. »Die Luft wird dünner, denn die Geister müssen nicht atmen.« Nervös befingerte er sein Armband. »Weiter begleiten wir euch nicht. Ab Morgen seid ihr auf euch allein gestellt.«
Renn setzte sich mit einem Ruck auf. »Soll das heißen …«
Juksakai nickte. »Wir haben die Schlucht des Verborgenen Volkes erreicht.«
Torak machte noch ein paar zögerliche Schritte: Steile Klippen ragten über ihm auf, von auskragenden, zerklüfteten Felsvorsprüngen überwölbt, die wie riesenhafte Kreaturen lauernd auf ihn herabblickten. Ein steiniger Pfad schlängelte sich, dem Flusslauf folgend, in die Schlucht hinein. Feuchte Wolken stiegen vom brausenden Gewässer auf und schützten den Berg vor zudringlichen Blicken. Trotzdem spürte Torak den eisigen Atemhauch des Gipfels. Ihm war nicht entgangen, dass die Schwäne fleißig Gebete murmelten und Renn die Totemfeder berührte, die sie um die Taille gebunden trug.
Nach dem wortkargen Nachtmahl nahm Juksakai ein Stück Fisch, verbeugte sich ehrfürchtig vor dem Fluss und warf den Fisch ins Wasser. »Dieser Fluss ist eine der Adern des Berges«, erklärte er.
Als Torak sich nach dem Namen des Flusses erkundigte, erwiderte der Anführer des Schwanclans streng, dieser Name dürfe niemals laut ausgesprochen werden. »Ich glaube, ihr aus dem Wald nennt ihn den Rotwasserfluss.«
»Das Rotwasser?« Torak konnte seine Überraschung nicht verbergen.
»Kennst du ihn?«
»Ich… aber ja, ich kenne ihn. Mein Vater ist in der Nähe des Rotwassers gestorben.«
Er kletterte allein zum Ufer hinunter und starrte in die schäumende Flut. War das nicht wie ein Vorzeichen? Mit einem Mal ragte Vergangenes in die Gegenwart hinein wie alte Knochen, die die Schneeschmelze zum Vorschein bringt.
Das Lager war in geisterhaftes Zwielicht getaucht. Als Torak sich der Schlucht zuwandte, teilten sich die Wolkenschleier – und da war er auf einmal zu sehen: Der Berg der Geister. Trotz der Entfernung schien er unmittelbar vor ihm aufzuragen. Schnee floss von seinem einzigen, makellosen Gipfel herab, der den Himmel stützte, und seine weißen Ausläufer schienen in einem gleichsam aus dem Berginneren kommenden heiligen Licht zu schimmern.
Seit drei Sommern hatte die Suche nach den Seelenessern Torak über Meer und Eis, Wald und See getrieben und ihn schließlich hierher geführt. Blitzartig traf ihn die Erkenntnis, dass sein Schicksal sich auf jenen fernen Hängen erfüllen würde. Es war das Ende seiner Suche. Er würde auf diesem Berg sterben.
Das war es, was Renn ihm die ganze Zeit über hatte verheimlichen wollen. Er hatte schon immer eine dunkle Ahnung hinsichtlich dessen gehabt, was ihm bevorstand, und die düstere Drohung hatte ihn mit jedem Sommer mehr bedrückt.
Mit einem Mal ergriff ihn panische Angst. Lauf davon. Lass andere gegen Eostra kämpfen. Du hast nie darum gebeten.
Aber was geschah dann mit Fa?
Der Gedanke setzte sich in ihm fort wie Ringe in einem Teich. Auf eine Weise, die er noch nicht recht erfasste, war Fas Geist
Weitere Kostenlose Bücher