Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
Andererseits handelte es sich nur um eine leichte Verzögerung. Die Wunde abdecken, Dunkelfell dazu bringen, etwas zu fressen, und sie dann zur weiteren Genesung liegen lassen. Wie lange mochte das dauern?
Nun, nachdem sie einen klaren Plan gefasst hatte, arbeitete Renn rasch und konzentriert. Bald war das Lager errichtet und ein kleines Feuer entfacht. Am Fuße eines Felsblocks, dort, wo ein Falke sich niedergelassen hatte, um seine Beute zu fressen, fand sie den winzigen Schädel einer Schneemaus: eine starke Medizin gegen Fieber aller Art. Besser noch – die tiefroten Häufchen an dem Stein führten sie zu einigen nicht weit entfernten Wacholderbüschen. Wacholderbeeren würden eine wirkungsvolle Zugabe für den Heilzauber abgeben.
Wieder bei Dunkelfell angekommen, erhitzte sie Wasser und rührte eine Brühe aus zerstampfter Ampferwurzel, Mäuseknochen und Wacholderbeeren an. Sie kühlte sie mit Schnee ab und machte sich daran, die Wunde zu reinigen, indem sie einige Tropfen auf die verletzte Schulter gab.
Dunkelfells Knurren ließ ihren ganzen Körper erzittern.
Renn schluckte. Sie versuchte es noch einmal. Mit dem gleichen Ergebnis.
Sie wünschte, sie wäre Torak. Dann könnte sie sich in der Sprache der Wölfe verständigen und Dunkelfell einfach erklären, dass die ganze Prozedur ihr guttun würde. »Dunkelfell, bitte« sagte sie. »Ich versuche dir zu helfen.«
Dunkelfell verdrehte ein Ohr.
»Du musst mich deine Wunde säubern lassen.«
Der grüne Bernsteinblick traf auf Renns Blick und glitt dann weiter.
Vielleicht geht es ja so, dachte Renn. Einfach mit ihr reden.
»Es … es tut mir leid wegen der Jungen«, stammelte sie. »Und dass die Eule dich verletzt hat. Aber Wolf lebt und du siehst ihn bestimmt wieder. Zuerst musst du dir aber helfen lassen.«
Dunkelfell blieb angespannt, die Sehnen an ihren langen Beinen standen heraus wie Bindfäden. Doch sie hörte zu.
Renn redete weiter, leise, sanft und gleichmäßig. Hoffentlich erkannte die Wölfin an ihrer Stimme, dass sie ihr nichts Böses wollte. Als sie abermals Medizin auf die Wunde träufelte, blieb Dunkelfell ruhig.
Das Waschen des verletzten Beins ging quälend langsam voran. Renn reinigte es so gründlich, wie sie sich traute, dann bereitete sie den Breiumschlag vor. Sie kaute Wacholderbeeren, zerrieb Sauerampferwurzel mit Erdblut und Wacholderbast und zerstampfte das Ganze zu einem warmen Brei.
Den Zauber murmelnd, beugte sie sich vor, wobei sie den Umschlag hinter ihrem Rücken verbarg.
Dunkelfell fletschte die scharfen weißen Zähne.
Renn erstarrte. Der Schweiß brach ihr zwischen den Schulterblättern aus. Als die Schnauze der Wölfin sich entspannte, zog Renn langsam den Umschlag hinter dem Rücken hervor.
Dunkelfell hob den Kopf dicht vor Renns Gesicht. Renn spürte ihren heißen Atem. Sie blickte in das geöffnete Maul. »Ist… ist ja gut. Lass mich nur machen.«
Das Maul entspannte sich. Die Wölfin legte sich zurück und schloss die Augen.
Zitternd drückte Renn den Umschlag auf die Wunde. Dunkelfell rührte sich nicht.
Die Raben hopsten verstohlen heran und machten sich mit dem Fleisch davon. Renn war zu erschöpft, um darauf zu achten. Sie hörte, wie die beiden sich zankten; dann ein schläfriges Federrascheln, als sie sich niederließen, um zu schlafen.
Schlafen?
Sie kroch aus dem Unterschlupf.
Während sie Dunkelfell versorgt hatte, war ihr der Rest des Tages durch die Finger geronnen. Torak konnte den Berg der Geister mittlerweile erreicht haben. Am kommenden Abend, wenn die Sonne unterging, begann die Nacht der Seelen.
Zu spät erkannte Renn Eostras List. Die Seelenesserin hatte es Dunkelfell aus einem ganz bestimmten Grund ermöglicht, so weit zu kommen: um Renn von Torak fernzuhalten. Es war auch nicht schwer zu verstehen, warum die Hunde die Wölfin nicht bedroht hatten. Sie hatten andere Beute zu jagen. Irgendwo, an einem einsamen Ort, waren sie dabei, Torak und Wolf in die Enge zu treiben. Renn sah ihre bösartigen, tief zwischen die Schultern eingezogenen Köpfe, sah, wie sie sich zusammenrotteten, um zu töten …
Wütend verjagte sie diese Gedanken und kroch wieder in den Unterschlupf, wo Dunkelfell unruhig im Schlaf zuckte.
Renn biss sich auf die Lippe. Sie wusste, dass sie die Nacht über hierbleiben musste – aber was dann? Sollte sie bleiben und auf Dunkelfell aufpassen? Oder die Wölfin ihrem Schicksal überlassen und versuchen, Torak einzuholen?
Wölfe genesen viel schneller als
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