Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
Menschen, trotzdem musste die Wunde verbunden und gewaschen werden. Vielleicht wäre ein weiterer ganzer Tag verloren.
Renn wusste nicht, was sie tun sollte. Sie fühlte sich von den Banden der Treue und Liebe in verschiedene Richtungen gezogen.
Neben ihr klopfte Dunkelfells Schwanz im Schlaf auf den Boden. Ihre Schnauze zitterte. Sie lächelte. Sie stieß ein drängendes, heftiges Winseln aus. Renns Herz zog sich vor Mitleid zusammen. Dunkelfell rief im Traum nach ihren toten Jungen.
Kurz darauf erwachte die Wölfin. Einen Augenblick leuchteten ihre Augen. Dann löste der Traum sich auf und sie stieß ein niedergeschlagenes Seufzen aus.
Renn streichelte ihr sanft die Vorderpfote.
Wenn sie Torak folgte und Dunkelfell starb … wie konnte sie dann jemals Wolf wieder gegenübertreten? Wie sich selbst?
Ihre Zweifel schwanden. Wenn sie Dunkelfell jetzt im Stich ließ, hatte Eostra gewonnen, was immer am Berg der Geister geschehen würde. Die Wölfin hatte so viel Kummer und Not durchlitten. Auch wenn Renns Geist danach schrie, Torak zu folgen, hatte ihr Verstand anders entschieden. Sie würde bleiben.
Kapitel 31
Torak war in wütendes Schweigen verfallen. Dark kramte in seinen Sachen herum und stellte Fragen. Was ist das grüne Ding da? Ein Armschutz? Wer hat den gemacht? Was ist ein Ziehvater? Hat er dich lieb? Warum ist der Beutel aus Schwanenfüßen gemacht? Wofür ist das Horn? Wer hat das gemacht? Deine Mutter? Hat sie dich lieb?
»Ja!«, brüllte Torak. Die Nacht der Seelen brach bald an, und er saß hier angebunden wie ein Schneehuhn, während dieser merkwürdige Junge seine Ausrüstung begutachtete.
»Da ist ein rotes Haar oben um das Horn«, stellte Dark fest. »Ist das von deiner Mutter?«
»Nein. Das ist von einem Mädchen namens Renn. Fass es bloß nicht an.«
Dark warf ihm einen flüchtigen Blick zu. »Ist das deine Gefährtin?«
»Nein.«
»Aber du hast sie gern.«
»Klar.«
»Und sie hat dich gern.«
»Ja«, fauchte er.
Darks blasses Gesicht wurde starr. Seine weißen Wimpern zitterten. Dann warf er unversehens das Medizinhorn zur Seite und rannte in die Dunkelheit. Kurz darauf tauchte er mit Toraks Kleidern im Arm wieder auf. »Da.« Er warf sie zu Boden.
Ark krächzte und schlug mit den Flügeln. Wolf schnüffelte an den Tierhäuten herum. Torak ließ Dark nicht aus den Augen.
Ohne ein Wort zog der Junge sein Messer und zerschnitt Toraks Fesseln. »Du bist frei. Du kannst gehen.«
Torak verlor keine Zeit und zog sich an. Während er seinen Gürtel festzog, fragte er: »Warum hast du es dir anders überlegt?«
Dark nahm einen steinernen Vielfraß vom Felsvorsprung und musterte ihn finster. »Alle diese Leute würden dich sehr vermissen. Mich vermisst niemand.«
Torak schwieg. »Das tut mir leid.«
Dark stellte die Schnitzerei zurück. »Ich bring dich nach draußen.«
Die Höhle war tiefer, als Torak angenommen hatte. Gemeinsam mit Wolf folgte er Darks schimmerndem Spinnwebhaar. Die Wände rückten näher. Schneeweiße Rentiere und Moschusochsen sahen ihn an. Torak dachte daran, was wohl sonst noch in der Dunkelheit der Höhle hausen mochte, und sagte: »Deine Schwester, ist die …«
»Heute ist die Nacht der Seelen. Sie ist bei den anderen.«
Torak spürte eisige Luft im Gesicht und nahm an, dass sie zum Ausgang gelangt waren.
Dark schob sich eine Schleuder in den Gürtel und band sich eine Schneemaske aus Vogelhaut über die Augen. Torak zerschnitt die Schnüre seiner Fäustlinge, damit sie ihm nicht in die Quere kamen. Dark trat gegen einen Granitkeil und rollte einen Felsblock zur Seite; doch als er sich hinkniete, um hinauszukriechen, sagte Torak, »Warte. Du kannst noch etwas für mich tun.«
Es war schon drei Winter her, seit er zuletzt Todeszeichen getragen hatte. Damals war er losgezogen, um den Dämonenbären zu jagen. Renn hatte ihm geholfen. Nun war es Dark, der ihm die Erdblutkreise auf das Brustbein, die Fersen und die Brauen malen musste.
Als Dark das Ockergelb mit dünnen Fingern umrührte, sagte er: »Das kenne ich noch. Das ist für die Toten.«
Torak gab keine Antwort.
Darks Berührung war leicht und erfahren und irgendwie auch beruhigend. »Es ist noch was übrig«, sagte er, als er fertig war. »Streiche es dir in die Haare. Du wirst Geistern begegnen. Du willst doch nicht, dass sie dir zu nahe kommen.«
Die rötliche Paste fühlte sich kühl und eigenartig wohltuend auf der Kopfhaut an. Vielleicht weil seine Mutter, die zum Rotwildclan gehört
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