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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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seinen Kleidern hing.
    „ Nur noch ein paar Wochen, dann ist der Sommer endgültig zu Ende und es ist Erntezeit draußen im Moor.“, versuchte Sarn Erich aufzumuntern. Vielleicht versuchte er aber auch sich selbst zu trösten, denn die gebückte Arbeit im spärlichen Licht von Kerzen und Laternen machte ihm ebenso wenig Spaß wie Erich.
    „ Im Moor? Da draußen wächst was, das man essen kann?“
    „ Aber ja. Wir können eine ganze Menge von dem verwenden, was im Moor wächst. Wir holen uns Torf für den Winter, Weidenzweige, um Körbe und andere Dinge daraus zu flechten und noch manches andere. Aber worauf sich alle am meisten freuen ist wenn die Sumpfrosen reif werden.“
    „ Was ist das denn?“
    „ Sie wachsen in flachen Tümpeln und ihre Blätter schwimmen auf der Wasseroberfläche. Ihre Blüten geben einen ziemlich intensiven Geruch ab, aber das Beste an ihnen sind die Stängel. Ihr Mark hat einen Geschmack, der mit nichts zu vergleichen ist und nachdem die Sammler damit zurückgekommen sind, riecht es in ganz Hornhus nach ihnen.“
    Sarn verdrehte schwelgerisch die Augen und wandte sich dann wieder dem Pilzfeld zu, das vor ihnen lag. Mit einem schnellen Griff packte er einen Tausendfüßler, der sich gerade aus dem Staub machen wollte und ließ ihn in einem der Beutel verschwinden, die er am Gürtel trug. Alles was sie hier unten einsammelten oder abschnitten wurde irgendwo anders weiterverwertet. Die Insekten wurden zum Futter für die blinden farblosen Fische, die in den tiefen Becken am Grund von Hornhus gezüchtet wurden, die vertrockneten Pilzstücke wurden zur Nahrung für das Federvieh, das einige Stockwerke über ihnen lebte. Die Ausscheidungen der Vögel wiederum dienten mit anderen Abfällen zusammen als Dünger für den Pilz. Ein großer Teil des Lebens in Hornhus drehte sich darum, diesen Kreislauf mit allem was mit ihm zusammenhing reibungslos am Laufen zu halten. Vor dem Krieg hatte dieser Kreislauf wie an anderen Orten zusätzlich auch noch Getreide, Heu und Schafe, Ziegen oder Kühe enthalten, aber im Grunde hatte sich wenig geändert. Nur die Dinge, die sich in diesem Kreislauf befanden, waren nun andere. Und nach wie vor konnte nur wer viel Energie und Planungsarbeit in seine Lebensmittel steckte, darauf hoffen, auch im Winter satt zu werden.
    Der anspruchslose Pilz erleichterte es den Hürnin über die Runden zu kommen, aber auch er stellte im Winter sein Wachstum ein und reagierte manchmal empfindlich auf Störungen des Klimas. Außerdem schmeckte er bestenfalls nach gar nichts.
    Umso mehr freute sich Erich darauf endlich einen dieser Sumpfrosenstängel zu Gesicht und hoffentlich auch zu schmecken zu bekommen, von dem alle so schwärmten. Es war als würde langsam ein Fieber um sich greifen, je näher der Termin zur Ernte rückte. Es schien kein anderes Thema mehr zu geben, als die Sumpfrosenernte und darüber vergaß man sogar über Erich und den Leichenwurm zu reden. Man debattierte, ob sie so ergiebig sein würde wie im letzten Jahr, ob auch diesmal an den alten Geheimplätzen so viel zu finden war wie immer und was es für neue Rezepte gab. Erich ließ sich davon anstecken und löcherte Brogu, der bereits zwei Jahre in Hornhus war mit Fragen. Vor allem interessierte ihn, wie diese Stängel nun eigentlich schmeckten, aber Brogu konnte auch nicht recht darauf antworten.
    „Es kommt drauf an.“, sagte er nicht zum ersten Mal. „Wenn man sie einfach so frisch aus dem Wasser heraus isst, sind sie beim ersten Bissen noch ein wenig schleimig und schmecken nach abgestandenem Wasser. Aber das Innere ist fest und knackt, wenn man daraufbeißt. Das Mark ist süß, aber nicht so süß wie Honig zum Beispiel und es hat einen Beigeschmack, der einem direkt in die Nase steigt.“
    Erich verzog sein Gesicht. „Ich sehe schon, ich muss es einfach selbst probieren.“
    „Oh ja, das musst du. Weißt du schon, mit wem du zur Ernte gehen wirst?“
    ‚ Zur Ernte gehen‘. Das war ein Ausdruck, dessen versteckte Bedeutung Erich erst hatte lernen müssen. Er würde sicherlich mit Sarn hinunter ins Moor gehen, aber Brogu war schon alt genug, dass er eines der Mädchen fragen könnte, ob sie ihn begleiten wollte – wenn er nur den Mut dazu aufbringen würde.
    „ Ich glaube Sarn hat keinen der anderen Unsichtbaren gefragt und er wird bestimmt nicht mit einer Frau hinuntergehen, also bleiben wohl nur er und ich.“
    Brogu grinste hintergründig und boxte Erich auf den Oberarm.
    „Du weißt schon was

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