Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
konnte, als sie jetzt mit der Realität konfrontiert wurde.
Er hielt seinen Kopf gesenkt und vermied jeden Blickkontakt, während er zwischen den Orks hindurch schritt und merkte deshalb nicht, dass die Männer und Frauen ihm zunickten oder stumm das Haupt vor ihm senkten. Erich bemerkte nur die Mischung aus Gerüchen, die den Körpern der Orks und ihrer Tiere entströmte und war froh, als er an ihnen vorbei war und in der großen Halle stand.
Sie war zwar groß genug um alle Hürnin aufzunehmen, aber dennoch trafen diese nacheinander in größeren Gruppen, Familien und Stämmen versammelt ein. Den Anfang hatten die kleinsten Völker gemacht, den Abschluss bildeten die Menschen. Mit anderen Worten machten die Unwichtigen den Anfang, danach kamen jene mit Macht und Einfluss.
Erich sah einen hochgewachsenen Mann mit übermäßig spitzer Nase und steingrauer Haut an einem der Eingänge stehen, der sich mit einer ebenso hageren Frau unterhielt, die die ungesündeste Hautfarbe besaß, die Erich jemals gesehen hatte. Dennoch übte sie eine seltsame Anziehungskraft auf ihn aus. Erich wollte Sarn schon danach fragen, ob es sich bei den beiden um einen Troll und eine Banshee handelte, aber eine Gruppe von Zwergen schob sie auf dem Weg nach unten auseinander. Obgleich reges Treiben herrschte, war die Stimmung feierlich. Erich fühlte trotzdem ein unbehagliches Gefühl in sich aufsteigen.
Eine ältere Elfenfrau mit kunstvoll hochgesteckten Haaren war gerade dabei die Zeremonie zu vollziehen. Der Rand der Schale war bedeckt von herabgetropftem Blut und auch auf dem Boden darum herum konnte Erich rote Spuren sehen, die von vielen Füßen verteilt worden waren. Er schluckte. Ihm war nicht klar gewesen, dass es so blutig zugehen würde.
Sarn und Erich suchten sich einen Platz in der Reihe der Wartenden, wo sie nicht im Weg stehen würden und sahen zu, wie die Frau ihr Blut opferte. Sie nahm einen der Opferdolche von einem Helfer entgegen und umrundete damit drei Mal die Schale, immer darauf achtend, mit niemand anderem zusammenzustoßen. Dann blieb sie stehen, blickte in das Blut und sprach ein paar Worte im Stillen. Sie streckte die Hände mit nach oben geöffneten Handflächen aus und ließ die Schneide des Dolchs über ihre linke Handfläche gleiten. Eine Wunde klaffte auf und etwas Blut tropfte in die Schale. Wieder umrundete sie diese drei Mal und wandte sich dann einem anderen Helfer zu, der ihr die Hand verband. Danach ging sie weiter zu bereitstehenden Krügen mit Wasser, um den Dolch von ihrem Blut zu säubern. Auch wenn Erich das nicht mehr sehen konnte, wusste er, dass sie danach den Dolch zurückgab und sich auf den Weg machte, um das Wasser in den Krügen wieder aufzufüllen. Danach sollte ein jeder Hürnin in Stille verharren, bis der Verband an seiner Hand oder seinem Arm wieder getrocknet war.
Sarn und Erich würden unter den ersten Menschen sein, die in diesem Jahr das Ritual vollzogen. Seit ihrer Verurteilung standen sie zwar sogar noch unter den Unsichtbaren, aber das war nur eine theoretische Unterscheidung. Tiefer als sie konnte man nicht sinken.
Je länger Erich der Zeremonie beiwohnte, desto unruhiger wurde er. Seine Blase drückte, seine Hände waren bedeckt mit Schweiß und er fühlte sich, als hätte er etwas Falsches gegessen. Dabei hatte er an diesem Tag noch keinen Bissen runter bekommen. Außerdem hatte er weder Brogu noch Beatrix gesehen. Wo mochten die beiden nur stecken?
Am meisten fürchtete Erich sich davor etwas falsch zu machen oder sogar ohnmächtig zu werden. Diese Genugtuung wollte er den anderen Hürnin nicht bieten. Sarn beteuerte ihm zwar, dass das nicht so schlimm sei und dass es jedes Jahr einigen passieren würde, aber Erich wollte Hornhus erhobenen Hauptes verlassen. Plötzlich fühlte er sich beobachtet.
Eine der elfischen Helferinnen, die bald von Menschen abgelöst werden sollten, ließ ihn nicht aus den Augen. Er hatte sie schon irgendwann einmal gesehen und fragte sich, warum sie ihn mit so eindringlichem Interesse anstarrte. Hing es vielleicht damit zusammen, dass er ein Freund von Brogu war und der sich bei den Elfen irgendwie ungebührlich verhalten hatte? Er sah ihr nach, wie sie das Ritualmesser an Sepatrik weitergab und dann in der Menge verschwand. Ein Wink von Sarn riss Erich aus seinen Gedanken. Jetzt war es so weit!
Wie er es gelernt hatte, ging er zu Sepatrik, bedankte sich bei ihm für das Ritualmesser aus schwarzem Stein und gab ihm dafür eine Rolle
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