Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
zählen auf. Kurz danach erschien sie in der Tür des Häuschens. »Meister?«
Dobrin sagte streng: »Hol mir Lyrith her!«
Die Frau verbeugte sich und verschwand. Paxe hörte sie etwas rufen.
Als sie zurückkehrte, hatte sie einen jungen dunkelhäutigen Mann im Schlepptau. Dobrin setzte sich wieder und bedeutete mit einem Wink, seine Soldaten sollten eintreten. »Paxe-no-Tamaris, Hofmeisterin von Arré Med«, sagte er und wies auf Paxe. »Sie kommt mit einer Beschuldigung in diesen Hof. Lyrith, kennst du einen Med-Soldaten namens ...« Er warf Paxe einen Blick zu.
»Seth«, sagte sie.
Der Mann biß sich auf die Unterlippe. »Jawohl, Meister im Hof.«
»Und du hast ihm ein Tezeraschwert verkauft oder gegeben?«
Lyrith senkte die Augen zu Boden. Gavriénna schüttelte ihn am Arm. »Antworte, rasch!«
Lyrith stammelte: »Ja, Meister.«
»Woher hast du es?«
Lyrith schluckte schwer. »Mein Vetter ist ein Händler, Hofmeister. Als wir ... als wir mit den Holzschwertern zu üben angefangen haben, hab' ich ihn gebeten, er soll mir ein echtes Schwert besorgen. Und er hat mir zwei gebracht. Und Seth ist der Bettgenosse von meiner Schwester. Er hat die Waffen im Haus gesehen und wollte eine davon haben, also habe ich ihm eine gegeben.«
»Obwohl du gewarnt wurdest, als wir mit dem Training begannen, daß der Besitz scharfer Waffen verboten war und verboten bleibt!«
»Jawohl, Meister im Hof.«
Dobrin beugte sich nach vorn. »Es ist dir verboten, ein Schwert zu besitzen«, sagte er. »Es ist dir verboten worden, von dem Training hier auch nur zu sprechen. Wenn die Nachricht davon, daß sich in deinem Haus ein scharfes Schwert befindet, in den Tanjo gelangte, ist dir klar, was dann mit dir passieren könnte? Du könntest in die Verbannung geschickt werden! Man könnte dir die Hand abhacken! Und trotzdem bittest du irgendeinen Händler, dir ein Schwert zu besorgen, als hättest du mich nie sagen hören: Ihr sollt kein Schwert besitzen! Ist dir nicht klar, was die Hexenleute dafür mit dir tun könnten?«
Er hatte die Stimme nicht erhoben. Doch Lyrith war grau im Gesicht und schwitzte. »Ja, Meister im Hof.«
»Du bist ein Idiot!«
»Ja, Meister.«
»Ich werde mir nicht die Mühe machen, Ron Ismenin davon zu berichten. Morgen wirst du mir diese Klinge, die du in deinem Haus hast, übergeben. Und heute um die Mittagsstunde wirst du an den Pfahl gehen. Gavriénna, zwanzig Schläge, und ich will, daß sämtliche Wachen im Hof Zeugen sind.« Die Wachoffizierin nickte. »Und jetzt, verschwinde von hier!«
»Los, komm, Idiot!« sagte Gavriénna. Sie zerrte Lyrith aus dem Haus. Paxe erhaschte einen Blick auf das Gesicht des Mannes: er war den Tränen nahe. Aber sie hätte nicht zu sagen vermocht, ob es Tränen der Schmach oder der Erleichterung waren.
»Bist du zufriedengestellt?« fragte Dobrin und legte die Hände wieder im Schoß zusammen.
Paxe schwieg. Das Zählen begann wieder. Eins – und zwei – und drei – und vier! »Nein«, sagte sie schließlich. »Nein, ich bin nicht zufrieden. Sag mir, Dobrin, warum exerziert ihr mit Schwertern, wo sie doch in der Stadt verboten sind?«
»Weil ich Meister im Hof bin«, sagte Dobrin. »Ich gehorche dem Haus, dem ich diene.«
»Obwohl du dabei den Bann brichst?«
Dobrin beugte sich vor. »Ich breche den Bann nicht.«
»Weil du keine scharfen Schwerter verwendest? Spiel mir nichts vor, ich bin kein Stadtbeamter. Du brichst wissentlich den Bann. Du weißt es, und Ron Ismenin weiß es. Warum sonst solltest du deinen Wachen befehlen, nicht über ihre Ausbildung zu reden, und warum sonst würde wohl dein Herr einen Posten ans Hoftor stellen, der Fremde fernhalten soll?«
Dobrin sagte: »Ich lehre den Kampf mit dem komys, Paxe, mit dem Kurzschwert.«
»Beim chea, was macht das für einen Unterschied, welches Wort du gebrauchst?«
»Ist dir der genaue Wortlaut des Banns vertraut?« fragte Dobrin.
»Nein. Ich hab' ihn nie gelesen. Aber ich weiß, was er besagt, und du weißt es auch.«
Dobrin sprach: »Der Bann ist in der alten Sprache niedergeschrieben. Ich selber spreche sie nicht, aber ich habe es mir übersetzen lassen. Da sind die Waffen aufgezählt, deren Besitz und Gebrauch innerhalb der Stadt verboten sind. Es gibt in der alten Sprache zwei verschiedene Wörter für ›Schwert‹: das eine bezeichnet die lange Klinge, das andere die kurze einschneidige Klinge. Im Bann steht kein Wort über diese zweite Waffe.«
Die Klinge, die sie Seth abgenommen hatte, war
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