Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
war eine unheimliche Gliederpuppe aus rötlich schimmerndem Holz, auf deren Kopf ein diabolisches Lächeln aus Kreide aufgemalt worden war. Sie lag irgendwie verdreht neben einem Richtklotz, in dem eine gewaltige Axt steckte. Unweit davon entfernt standen klobige Folterinstrumente, darunter Daumenschrauben, Stachelstühle und eiserne Quetschstiefel, die wenigstens zu Teilen gnädig von weißen Leinentüchern verhüllt wurden. Kai schluckte. Was war das nur für ein schrecklicher Ort ? Gebannt blieb sein Blick an einem Sammelsurium an Messern, Sägen und Bohrern hängen, über deren Verwendungszweck er lieber nicht weiter nachdachte.
Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und er begriff, wo er gelandet war: auf dem Dachboden von Eulertins Haus.
Misstrauisch beäugte er die Dachsparren, von denen Henkerschlingen und von Netzen umhüllte Glaskugeln baumelten. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, doch lagen in den Gefäßen tote Spinnen, Kakerlaken und Asseln. Keines der Tiere war kleiner als seine Hand.
Kai lief ein Schauer über den Rücken. Unmöglich, dass all das der Däumlingszauberer zusammengetragen hatte. Eine solche Geschmacksverirrung traute Kai dem Magister einfach nicht zu. Aber hatte dieser ihm nicht berichtet, dass das Gebäude auf eine lange Geschichte zurückblickte? Gut möglich also, dass die schrecklichen Gegenstände um ihn herum von den früheren Bewohnern stammten.
Egal. Im Moment war er einzig und allein daran interessiert, so schnell wie möglich einen Weg zu finden, der ihn wieder zurück zu seiner Kammer führte. Angewidert zwängte sich Kai an den gruseligen Folterinstrumenten vorbei, denn er hatte im hinteren Teil des Raumes ein eigenartiges blaues Leuchten bemerkt. Gerade noch unterdrückte er einen Schrei. Direkt neben ihm lehnte ein offener Sarg, in dem ein mumifizierter Leichnam mit zugenähten Augen lag. Seine Arme hielt der Tote auf der Brust verschränkt und aus seiner Mundhöhle ragte ein langer, rostiger Eisennagel. Die Mumie stand direkt neben einem Regal mit dicken Büchern, von denen einige Brandspuren aufwiesen.
Hastig eilte Kai weiter, vorbei an einem grob gemauerten Schornstein, neben dem eine staubige Vitrine stand. Dort lagen Muschelketten, Perlmuttringe und verzweigte Kalkgebilde, von denen das geisterhafte blaue Licht ausging, das diesen Teil des Dachstuhls erleuchtete. Kai wollte schon weitergehen, als sein Blick an einem schwarzen Steinquader hängen blieb. Auf dem altarartigen Sockel lag ein prächtiges Langschwert. Die Klinge schimmerte trotz des Dämmerlichts silbrig hell. Parierstange und Knauf liefen in taubeneigroßen Echsenköpfen aus, deren Augen mit funkelnden Smaragden verziert waren. Ohne Zweifel, das Schwert war aus Mondeisen. Das Material sah genauso aus wie der Panzerarm Eisenhands oder Fis Amulett.
Zu seiner Überraschung war die Spitze der Waffe oben abgebrochen. Aber hieß es nicht, dass Mondeisen härter war als jedes bekannte Material?
Einzig die eisernen Klammern, mit denen das Schwert an den Stein genietet war, hielten Kai davon ab, die prächtige Waffe in die Hand zu nehmen.
Seufzend riss Kai sich von ihrem Anblick los und entdeckte schließlich neben einem großen Ölgemälde einen Ausgang. Endlich! Er beschleunigte seinen Schritt und erkannte, dass der Zugang in einen der runden Turmerker des verwinkelten Gebäudes mündete. Treppenstufen führten von hier aus nach unten. Doch wo würde er herauskommen?
Kai blickte zurück zu dem Kamin, der hoch zur Dachschräge aufragte, und versuchte anschließend, die Dunkelheit im hinteren Teil des Dachstuhls zu durchdringen. Tatsächlich, nicht weit von der glühenden Wolfsmaske entfernt, machte er einen weiteren Schornstein aus. Einer der beiden Schlote würde hinunter in die Küche führen, der andere hingegen . .. zu der Feuerstelle in Eulertins Studierstube.
Kai beschlich ein unangenehmer Verdacht. Im Geiste vergegenwärtigte er sich die Anordnung der Erker, sowie die Position von Küche und Studierstube im Erdgeschoss. Es gab nur einen Ort, an dem Kamin und möglicher Treppenzugang so dicht beieinander lagen wie hier: in Magister Eulertins Gelehrtenkammer. Die Stufen vor ihm würden somit hinter der geheimnisvollen verriegelten Tür enden. Jetzt wusste er es. Schlimmer hätte es kaum kommen können.
Kai erinnerte sich noch gut daran, wie der Magister neulich Quiiiitsss angefahren hatte, als er entdeckt hatte, dass der Poltergeist hier oben gewesen war.
Was sollte er nur tun
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