Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
die sich plötzlich in seinen Nacken setzte. Hadros hingegen rührte sich kaum. Nur seine Finger gruben sich tiefer in Mochanons Kragen, und nun, als er ihn näher zu sich zog, bröckelte die Maske vor seinem Gesicht. Das Antlitz des gealterten Mannes zerfiel, und währenddessen drang die Stimme des Engelskriegers durch Nandos Gedanken.
Seit wann habt Ihr, Krieger der Wüste, Angst vor dem Tod? Habt Ihr etwa vergessen, wer Ihr seid? Ihr, der Sohn des Sonnenpriesters Khraa, das Kind der Amazone des Dreizehnten Rings? Bereits Eure Eltern drückten der Wüste ihren Stempel auf, und sie gaben das Erbe an Euch weiter: das Erbe aus Blut und Grausamkeit, das Euch stets auf den richtigen Fährten zu den geheimen Schätzen führte und das Euch hinabtrieb in den Schlund der Wüste, damals, als Ihr die Dämonen des Roten Tals mit bloßen Händen in Fetzen gerissen habt.
Mochanon atmete nicht, doch die Erkenntnis verwandelte sein Gesicht, und Nando sah wieder das halb verbrannte Antlitz des Jägers, der er einst gewesen war und der noch immer in ihm ruhte: zäh und unwandelbar wie jeder Krieger des Lichts, der in die Schatten gestürzt und aus ihnen zurückgekehrt war.
Die Maske zog sich von Hadros’ Augen zurück und offenbarte einen unendlichen Abgrund, aus dem Erinnerungen stiegen, die Nando den Atem stocken ließen. Er sah Hadros im Sand der Wüste knien, sah einen Jungen neben ihm, einen Jungen mit tiefschwarzem Haar. Es war Mochanon als Kind, und sie bereisten die Wüste gemeinsam, der Junge führte den Krieger, und der Krieger wies den Jungen in die Kunst des Kampfes und der Jagd ein, und sie retteten einander, wieder und wieder, bis sich ihre Wege trennten vor sehr langer Zeit.
Mochanon, Krieger des Lichts, Jäger der Schatten , raunte Hadros, und ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht, als sein einstiger Schüler sich in seinen Augen spiegelte. Ich bürge für diesen Jungen, wie ich es einst für Euch tat. Erinnert Euch, folgt mir in die Wüste, wie ich Euch folgte, und seid gewiss: Ich frage Euch nicht umsonst.
Langsam löste er seinen Griff und Mochanon stand eine Weile da, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich nickte er.
»Ich führe Euch in die Wüste«, sagte er leise.
Er wartete, bis Hadros den glimmenden Gegenstand annahm, den er ihm hinhielt. Dann trat er an ihm vorbei auf den Ausgang zu. Ehe er in der Menge verschwand, drehte er sich noch einmal um, doch er schaute nicht zurück zu seinem einstigen Lehrer. Es war Nando, den er mit seinem Blick umfasste.
Ich bin kein Dämon, wie du vermutet hast, wiederholte Mochanon ruhig. Aber ich werde jeden Dämon töten, wenn er der Wüste etwas antut – ganz gleich, wer ihn beschützt.
Er fixierte Nando für einen Moment regungslos, und dieser zweifelte keine Sekunde daran, dass der Engel es ernst meinte. Dann wandte Mochanon sich ab und verschwand in der Menge.
28
Die Nacht hielt Lhafar noch fest in ihren Klauen, als Nando hinter Avartos und Noemi auf die Straße stolperte. Kaya schlief tief und fest in der Geige, und Nando hätte gern mit ihr getauscht. Hadros hatte sie noch weit vor dem ersten Glockenschlag unsanft geweckt, ihnen ein Bündel vor die Füße geworfen und sie angewiesen, sich nach dem Umkleiden sofort vor die Tore der Stadt zu begeben. Ohne eine Antwort abzuwarten, war er wieder verschwunden, und Nando war nichts anderes übrig geblieben, als sich wie die anderen in die weite Wüstenkleidung zu hüllen, die der Engel ihnen gebracht hatte. Sie bestand aus einem Gesichtsschleier, einem Übergewand, das bis zu den Knöcheln reichte, und überlangen Hosen, in denen man leicht hängen blieb. Kein Wunder also, dass er in seinem Zustand über die Stufen des Gasthauses gestolpert war.
Die unerwartet kühle Luft linderte seine Kopfschmerzen, aber als er Avartos durch die dunklen Gassen folgte, brachte ihn sein Rücken fast um den Verstand. Die Betten des Gasthauses bestanden aus Teppichen, die auf dem Boden lagen, und er vermutete, dass man Jahre in Wüste oder Unterwelt verbracht haben musste, um eine Nacht auf solch steinhartem Grund unbeschadet zu überstehen. Andererseits sah Noemi auch nicht gerade erholt aus. Sie hatte eine halbe Ewigkeit gebraucht, um ihre langen Haare unter dem Tuch zu verbergen, ohne dass es sich bei der kleinsten Bewegung selbstständig machte, und offensichtlich ging ihr auch die helle Farbe der Wüstenkleidung gewaltig gegen den Strich. Wütend stieß sie einen Fluch aus, als sie wie Nando über die eigenen Füße
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