Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
Feuern, und sie berichten davon, dass die Geister immer wieder versuchen, von uns Besitz zu ergreifen. Viele Engel Nhor’ Kharadhins lachen über die Wahrheit der Wüste, aber ich zweifle nicht daran. Oder was meint ihr?«
Noemi schien noch immer auf das zu lauschen, was Nandos Ohren verborgen blieb. »Immer schon waren es Geschichten, in denen die Wahrheit lag«, sagte sie schließlich, und Mochanon neigte zustimmend den Kopf.
»Die Wüste ist ein Ort, der niemandem gehört«, erwiderte er leise. »Und gleichzeitig gehört er uns allen. Jeder, der einen Fuß auf diese Dünen setzt, wird sich selbst im Sand finden. Ich wünsche euch, dass ihr ertragt, was ihr sehen werdet.«
Noemi nickte ohne jeden Anflug von Furcht, aber Nando fühlte ihn plötzlich stärker, den eisigen Wind, der durch das Lager strich. Gerade tauchte wieder das Gesicht der Sphinx vor seinem inneren Auge auf, als Mochanon ihm zulächelte und jeden Gedanken aus seinem Kopf vertrieb.
»Folgt mir«, forderte der Engel sie auf. »Euer … Begleiter wird später zu uns stoßen und hat mich gebeten, euch in die Kunst des Wüstenreisens einzuführen.«
Sie verließen den Feuerschein, und kaum dass sie das Stimmengewirr hinter sich gelassen hatten, wurde das Blöken der seltsamen Tiere lauter, die abseits des Lichts standen. Sie waren größer als Kamele und hatten langes blaues Fell, das ihnen in weichen Büscheln vom Körper hing. Aus rauchgrauen Augen schauten sie zu Nando herab. Es kam ihm so vor, als würden sie spöttisch die Brauen heben.
Mochanon trat auf ein Tier mit geflochtener Mähne zu und strich ihm ruhig über den Hals. »Cerem’ Dhaj«, raunte er. »Schönheit der Wüste. So wurden sie früher genannt, als die Engel noch wussten, was Poesie war, und bis heute gibt es keinen anderen Namen für sie. Ich kenne kein besseres Reittier, um die Wellen dieses Meeres zu erklimmen.«
Erst jetzt bemerkte Nando, dass die meisten Tiere farbige Bänder um den Hals trugen, offenbar zum Zeichen, dass sie bereits vergeben waren. Vier von ihnen waren noch nicht gekennzeichnet. Mit einem Zungenschnalzen trieb Mochanon die anderen Tiere zurück und zog vier bunte Bänder aus der Tasche.
»Kommt näher«, forderte er sie auf. »Sucht euch eines aus.«
Noemi löste sich als Erste aus der Starre. Zielstrebig trat sie auf ein schmales Tier zu, das wohlig durch die Nüstern schnaubte, als sie die Finger in sein Fell grub. Ohne Gegenwehr ließ es sich das Band umlegen. Avartos zögerte, ehe er die Hand nach einem reglosen Tier ausstreckte, das sofort vor ihm zurückwich. Es scharrte unruhig mit den Hinterbeinen, aber der Engel neigte leicht den Kopf, und Nando musste lächeln, als er erkannte, dass Avartos in Gedanken mit ihm sprach. Was immer er sagte, er hatte damit Erfolg. Das Tier beruhigte sich und stupste Avartos gegen die Schulter, als dieser ihm das Band um den Hals schlang.
»Dieses hier ist deines«, sagte Mochanon, ehe Nando sich einem der beiden letzten Tiere hätte nähern können. Seine Hand ruhte auf der Flanke eines geradezu riesigen Cerem’ Dhaj. Sein Fell war beinahe schwarz, sein Atem ging stoßweise und sein Blick umfasste Nando so zornig, dass dieser den Kopf schüttelte.
»Was ist mit dem da?« Er deutete auf das andere Tier, das ruhig dastand und ihn aus sanften Augen anschaute.
Mochanon lachte auf. »Dieses Tier trägt euren Begleiter und nur ihn. Er holte es einst aus der Steppe Arsilons, gemeinsam überstanden sie den Sturm des Phiros, einen heftigen Wüstenorkan vor sehr langer Zeit, der zahlreiche Bewohner dieses Ortes zwischen seinen Klauen zerriss. Seither ist dieses Tier sein Begleiter, sobald er den Sand der Wüste unter den Füßen spürt.«
»Aber es ist viel ruhiger als dieses dort«, versuchte Nando es noch einmal. »Ich … «
»Du darfst dem Schein keine Bedeutung beimessen«, unterbrach ihn der Engel, und zum ersten Mal, seit sie sich an diesem Morgen begegnet waren, zerbrach das Lächeln auf seinen Lippen. »Sonst wird die Lüge von dir Besitz ergreifen und alles vernichten, was du bist.« Er winkte Nando zu sich heran. »Du kannst mir dankbar sein. Wärest du dem anderen Cerem’ Dhaj zu nahe gekommen, hätte es dich gefressen.«
Erschrocken starrte Nando ihn an, aber er hätte nicht sagen können, ob Mochanon ihn für dumm verkaufen wollte oder nicht. Das schwarze Flackern in den Augen von Hadros’ Tier beunruhigte ihn, und er fragte sich unwillkürlich, ob die Cerem’ Dhaj wirklich Fleischfresser waren.
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