Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
weinen, schreien, lieben wie er. Dieser Gedanke erfüllte ihn ganz, und bald nahm er nichts mehr wahr als die unaussprechliche Schönheit der Wüste.
Erst als der Wind ihm mit eisiger Kälte ins Gesicht stob, schreckte er auf. Ein seltsames Raunen erhob sich, es klang wie halb wahnsinniges Gelächter aus zahlreichen Kehlen. Ein Sturm zog auf. Sofort stieß Mochanon einen Befehl aus und trieb sein Reittier vorwärts, während seine Lakaien in raschem Trab die Karawane umkreisten und einen Ring aus blauem Feuer um die Reisenden zogen. Unruhe machte sich breit, und selbst die bisher gemächlich dahintrabenden Tiere schnaubten verängstigt. Nando kniff die Augen zusammen und erkannte in einiger Entfernung, wie sich mehrere Wirbel aus den Dünen erhoben. Hinter ihm stieß Avartos einen Fluch aus, doch Mochanon stand vollkommen regungslos da und fixierte die Wirbel, die langsam auf die Karawane zuglitten. Gleichzeitig erhob sich eine Gestalt aus Sand direkt vor ihm.
Es war ein riesiger Engel mit mächtigen Schwingen, der zornentbrannt auf die Karawane niederstarrte. Durchdringend erklang seine Stimme, und obwohl Nando seine Worte nicht verstand, begriff er doch, dass Mochanon ihn ersuchte, über sein Land reisen zu dürfen, und der fremde Engel wütend ablehnte. Sie begannen zu streiten, ihre Worte wühlten den Sand auf, und währenddessen schoben sich die ersten Frauenleiber aus den Wirbeln. Sie streckten verführerisch die Arme nach den Reisenden aus. Die Lakaien stachen mit brennenden Lanzen nach ihnen, aber stets wichen sie nur kurz zurück, und Nando hörte das Stöhnen einiger Engel, als müssten sie all ihre Kraft aufwenden, um sich gegen die lockenden Rufe der Frauen zu wehren. Kaya richtete sich auf.
»Frey’khira«, murmelte sie. »Dschinns des Schwelenden Feuers. Lange habe ich keinen mehr von ihnen gesehen. Sie werden von einem größeren Willen beherrscht.«
»So ist es«, raunte Hadros, der in diesem Moment neben Nando trat. Er schaute zu dem Engel aus Sand auf, dessen tiefes Grollen wie Donner über ihren Köpfen rumorte. »Baskardim, der Zorn des Lichts. Einst ein mächtiger Ritter der Engel, wurde er in den Teufelskriegen von Luzifer selbst verbrannt. Er weigerte sich, nach Andra Amyon zu gehen, denn seine Wut war zu groß, und sein Hass währt noch immer. In jedem Sandkorn seines Reichs steckt der Zorn seines Blutes, und niemals würde er es dulden, dass die Saat seines Feindes über seine Dünen geht. Mochanon hat gewusst, warum er sich weigerte, uns zu begleiten.«
Nando schluckte schwer. »Meinetwegen«, erwiderte er kaum hörbar. »Aber was sollen wir tun? Er wird uns angreifen!«
Schon rutschten zwei Engel von ihren Reittieren und traten wie in Trance auf die geisterhaften Frauen zu. Blitzschnell zwang Avartos sie mit einem Bann zu Boden, aber weitere folgten ihnen. Es war, als würden die Gesänge ihnen den Verstand rauben. Hadros jedoch beachtete sie nicht. Er schaute weiter zu Mochanon hinüber, und Nando glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können, als er den Engel lächeln sah.
»Das hat er schon längst getan«, sagte Hadros ruhig. »Manchmal gibt es keine Einigung und keinen Weg jenseits der Gewalt. Merke dir eines, Sohn der Hölle: Wenn du deine Feinde nicht zu deinen Freunden machen kannst – vernichte sie.«
Nando kam nicht dazu, etwas zu erwidern, denn in diesem Moment riss Mochanon die Faust in die Höhe und ließ die Flammen des blauen Rings als flackernde Kuppel über der Karawane zusammenschlagen. Baskardim jedoch holte Atem, so tief, dass der Sog die Tiere nach vorne riss, und stieß ihnen dann glühende Luft entgegen, durchsetzt von brennendem Sand. Mochanon stürzte. Die Engel schrien auf, viele wurden ebenfalls von ihren Tieren gerissen, und da sprang Hadros vor, mitten hinein in den tosenden Sturm. Funken sprühend kam er neben Mochanon auf, und gerade, als dessen Zauber zusammenbrach, ballte er die blauen Flammen zu einem Speer zusammen und schoss ihn mitten durch Baskardims Gesicht.
Der Schrei des Engels peitschte über Nandos Gesicht. Er verlor das Gleichgewicht und landete ungebremst auf dem heißen Sand. Taumelnd rappelte er sich auf, und während der Baskardim sein verbranntes Antlitz neu zusammenfügte, schossen weitere Wirbel aus dem Boden. Noemi riss im letzten Moment einen Jungen vor den lockenden Stimmen zurück, aber als Avartos sich zwei Sandfrauen entgegenstellte, glitten seine Pfeile wirkungslos durch sie hindurch. Sie lachten. Mit glühenden Händen
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