Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
seines Liedes anschlug, da sah er ein Bild in Baskardims Augen auftauchen, getragen von einem glühenden Wüstenlachen. Es war das Bild, das er schon kannte, jenes Bild, das ihn immer wieder in schrecklichen Träumen heimsuchte, ein Bild, das tausend Varianten kannte und tausend Farben, aber doch immer nur eines zeigte: Nando, den Teufelssohn, wie er entfesselt über ein Schlachtfeld raste und schließlich zwischen den Leichen seiner Feinde innehielt. Für einen Moment sah er sich von außen, sah sich dastehen zwischen den Wesen, die er getötet hatte, und empfand nichts als die Kälte des Lichts, die ihn durchstrahlte und ihn den Blick in Baskardims Augen erwidern ließ, als wäre da nichts weiter in ihm als eine kühle, klare Stille. Wo ist der Unterschied, schien dessen Blick in plötzlichem Erstaunen zu fragen, und Nando gab keine Antwort. Wortlos zog er den Bogen über die Saiten und ließ sein Licht in den Engel fließen, um ihn zu zerreißen. Und mit einem Seufzen wie dem Raunen von wirbelndem Sand brach Baskardim in sich zusammen.
Langsam ließ Nando die Geige sinken, aber erst als Kaya zu dem Instrument zurückgekehrt war, hatte auch er das Gefühl, wieder in seinem eigenen Körper zu sein. Lautlos zerfielen die übrigen Leiber der Frey’khira und ließen nichts als die erstaunten Gesichter der geretteten Engel zurück. Doch da lag noch etwas anderes in ihren Augen, etwas, das Nando auch in Mochanons Blick fand, als der Engel nun zu ihm herübersah. Etwas wie … Entsetzen?
Nando schwankte. Dieser Zauber hatte ihn viel Kraft gekostet, aber ehe er fiel, packte ihn eine Hand. Er rechnete damit, Noemi vor sich zu sehen oder Avartos. Aber es war Hadros, der ihn anschaute, und Nando sah sich selbst in seinen Augen: einen Krieger, der würdig war, auf diesen Dünen zu stehen. Ohne ein Wort glitt ein Lächeln über Hadros’ Lippen, und dann, kaum merklich, neigte der Höchste Krieger der Engel vor ihm den Kopf.
29
Der Himmel war ein Meer aus Sternen. Nando hatte den Kopf in den Nacken gelegt, sein Blick glitt über das glitzernde Firmament, das aussah, als hätte jemand Diamantsplitter auf einem seidenen Tuch verteilt, und immer dann, wenn er meinte, einen dunklen Bereich zwischen ihnen erspäht zu haben, tauchte binnen weniger Augenblicke auch dort ein Stern aus der Finsternis auf und ließ die Nacht in silbernen Lichtern funkeln. Seit einigen Tagen waren sie nun unterwegs, und inzwischen hatte er gelernt, dass auch der Himmel über der Wüste unendlich war.
Mochanon und seine Lakaien hatten einige Feuer zwischen den Dünen entfacht, und nach einem Abendessen aus Brotfladen, die mit Datteln, Butter und Milch in der Asche gebacken wurden, saßen nun alle entspannt zusammen. Nando hatte seinen Platz etwas abseits von einer Gruppe raubeiniger Abenteurer gefunden, deren Ohren von goldenen Ringen nur so blinkten und die in die Wüste gekommen waren, um nach Schätzen zu suchen. Nando verstand einige ihrer kehligen Worte, die sich von der Hochsprache der Engel unterschieden, und er ahnte, dass sie sich wieder Geschichten von früher erzählten und von den Abenteuern, die sie damals erlebt hatten. Er holte tief Atem. Seine Augen hatten sich im ewigen Wind entzündet, sein Kreislauf hatte sich noch nicht vollständig an die heftigen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht gewöhnt, und er hatte weiterhin gehörigen Respekt vor den Skorpionen, Schlangen und Spinnen, die im Sand der Wüste lauerten. Aber bereits am Morgen nach seinem Kampf gegen die Frey’khira waren die Engel ihm mit stiller Achtung begegnet, und er konnte sich kaum etwas Schöneres vorstellen, als abends mit dem Blick auf die Sterne einzuschlafen und morgens vom Rauch eines frisch entfachten Feuers zu erwachen. Der grüne Tee der Ukarem’ Xhey stillte seinen Durst, und nach dem langen Ritt durch glühend heißen Sand genoss er es, in der alten Tradition der Reisenden noch lange nach dem Essen am Feuer zu sitzen und den Geschichten zu lauschen, deren Wahrheit er instinktiv verstand – so, als würde ihr Sinn mit dem Rauch der Wasserpfeifen in ihn eindringen und sich in ihm ausbreiten, ohne den Umweg über seinen Verstand nehmen zu müssen. Gelächter erhob sich, als die Barden zu singen begannen, und wenig später standen die ersten Engel auf, um zu tanzen, hingegeben und schön und frei, wie sie es nur an einem Ort wie diesem waren.
»Wir sitzen mitten in der Wüste des Lichts und sehen den Engeln beim Tanzen zu«, sagte eine Stimme
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