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Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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zusammen, noch bevor die Ratten an seinen Beinen emporgeklettert waren. Er sank auf den Waldboden, während sie über ihn hinwegrasten, und obwohl Pherodos bald schon nichts mehr erkennen konnte als das wirre Durcheinander schwarzer Leiber, sah er Ligur doch vor sich, mehr noch: Es war, als liefen die Ratten über seine eigene Haut. Tief gruben sich ihre Krallen in sein Fleisch, und als das erste Blut daraus hervorquoll, musste Pherodos all seine Kraft aufbringen, um sich bewusst zu machen, dass nicht er es war, der dort lag. Ligur war es – und er ließ sich von den Ratten fressen. Dornengleich stachen ihn die Krallen, winzige Zungen leckten ihm die Haut ab, und die Zähne rissen an seinen Wangen, seinen Lidern, seinem Mund. Blut rann über seinen Körper und sickerte in den Grund des Waldes, und als Pherodos die uralte Macht erwachen hörte, schaute er Ligur noch einmal in die Augen. Leere Höhlen waren es nun, Abgründe, in denen blutende Schwingen fielen, ohne aufzukommen, aber noch immer lächelte der halb zerfressene Schädel, und plötzlich wusste Pherodos, was für ein Ausdruck in den Zügen seines Gefährten gelegen hatte. Es war die Sehnsucht danach, dass alles enden möge: der Hunger, die Gier, die ewige Hitze, und erstmals, seit sie sich kannten, verstand Pherodos seinen Gefährten vollkommen.
    Dann zerfiel Ligurs Leib. Er wurde vollständig aufgenommen von den Ratten, ihre winzigen Körper krachten, als würden ihre Knochen brechen unter der Macht des Dämons, den sie sich einverleibt hatten. Aber sie starben nicht. Sie quiekten durcheinander, widerwärtig und abstoßend, aber gerade als Pherodos sich abwenden wollte, verstummten sie. Wie erstarrt saßen sie da und starrten ihn an, aus reglosen, roten Augen, und da hörte er sie keckern – alle auf einmal, mit Ligurs Stimme. Wimmelnd ergossen sie sich wieder ins Unterholz. Dort, wo Ligur gelegen hatte, war nichts mehr zu sehen als zerdrücktes Gras. Selbst das Blut, das daran haften geblieben war, hatten sie mitgenommen.
    Pherodos fuhr sich über die Augen. Das Grollen weit unter seinen Füßen wurde leiser, aber er wusste, dass es nicht mehr verstummen würde. Es lauschte auf Kymbras Stimme, bald schon würde es bereit sein … wie die Könige der Nacht, die es gerufen hatten.
    Kymbras Tiger legte sich dicht neben sie und rieb seinen Kopf an ihrer Seite, während Raar mit seinem Geier verschmolz, bis es schien, als wäre er nicht mehr als einer der Schatten zwischen den Bäumen. Nur die Hyäne wimmerte, ehe sie sich dort, wo Ligur verschwunden war, zusammenrollte und einschlief. Pherodos schaute ins Unterholz. Für einen Moment sah er wieder in die leeren Augenhöhlen seines Gefährten, und es schien ihm, als wäre er selbst es, der in ihren Abgrund fiel wie in seine eigene Finsternis. Ein Kind lag auf seinem Grund, ein schlafendes Kind mit den blauen Augen seiner Mutter und dem goldenen Glanz auf der Stirn, dem goldenen Glanz seines Vaters, der ein Engel gewesen war … damals, vor so langer Zeit. Pherodos grub die Hände tief in Skelfirs Mähne. Alles hatte er darangesetzt, diesen Glanz zu vergessen, und noch immer wurde er von ihm verfolgt. Noch immer glomm er in ihm und schob sich unter den Augen des Teufelssohns durch all die Finsternisse, in die er ihn gehüllt hatte. Er fühlte die Mauern Aeresons hinter sich und spürte deutlich, dass sich in ihrer Dämmerung auch sein eigenes Schicksal entscheiden würde. War er dazu bereit? Hatte er überhaupt eine Wahl? Kaum merklich schüttelte er den Kopf. Nein, dachte er. Ligurs Hoffnung auf ein Ende aller Dinge war vergebens. Manches endete nie, ganz gleich, wie schrecklich es war.
    Dann wandte er sich ab. Mit aller Kraft drängte er das Bild der fallenden Schwingen zurück, das schmerzhaft durch seine Gedanken strich, und schaute zur einstigen Festung Askramars hinüber. Wortlos rief er seine Flammen. Sie umspielten seine Finger wie boshafte Kinder. Es würde noch dauern, bis ihre Kraft groß genug war, um entlassen zu werden, aber schon jetzt fühlte er sie in wilder Glut brennen. Nicht mehr lange, und sie würden die Mauern Aeresons vor den Augen der Königin verbergen – sie und alles, was ringsherum geschah.

31
    Die Wüste war eine Zauberin. Niemals offenbarte sie eines ihrer Geheimnisse, ohne gleichzeitig neue aufzuwerfen, und mit jedem Schritt auf ihrem Sand zog sie Nando tiefer hinein in ihren Kosmos aus Glut und Farben. Oft wünschte er sich, malen zu können, doch allein die Nuancen des

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