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Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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lautlos. Sie trugen Hadros’ durchscheinenden Leib so behutsam zwischen sich, als würden sie ein zerbrechliches Gefäß halten, und erst als sie ihn nahe dem Ufer niederlegten, hörte Nando ihre Kutten leise rascheln.
    Er selbst blieb einige Schritte von ihnen entfernt stehen. Er konnte Avartos und Noemi neben sich fühlen und hörte Kayas Herzschlag, unerschütterlich und stetig, als wäre es nie anders gewesen. Sie hatten nicht viel miteinander gesprochen auf dem Weg bis hierherunter, doch war nicht mehr als ein Blickwechsel nötig gewesen, um jede Ferne, jedes eisige Schweigen der vergangenen Wochen in Wärme zu verwandeln. Nando war sich bewusst, dass er seiner Freundin schwer zugesetzt hatte mit seiner Flucht vor der Dunkelheit. Doch Kaya hatte ihn nie allein gelassen, selbst nicht in jenen Momenten, da er jedes Spiel mit den Schatten verflucht hatte, und er spürte erst jetzt, wie sehr sie ihm gefehlt hatte – diese unbeugsame, stolze Dschinniya aus Feuer und Luft, die unabänderlich an seine Seite gehörte, ganz gleich, was geschehen würde.
    Carmenya trat langsam auf Hadros zu, und während Nando in die Dunkelheit starrte, erinnerte er sich daran, was der Engel bei ihrem letzten Besuch an diesem Ort gesagt hatte.
    Sieh mit den Augen des Lichts!
    Ein Ziehen lief durch Nandos Brust, denn die Stimme des Kriegers klang so deutlich in ihm wider, als hätte er sie gerade zum ersten Mal gehört. Er schloss die Augen, und kaum dass er seine äußere Blindheit ablegte, sah er den See vor sich: glänzend wie ein goldener Spiegel. Carmenya kniete neben ihrem Vater, sie hielt seine Hand und strich ihm sacht übers Haar, und die Mönche betrachteten sie, als würden sie die Trauer selbst erleben, die sie in diesem Moment empfand. Langsam erhob sie sich und gab den Blick frei auf Hadros, am Ufer des Sees gebettet wie auf weichem Gras. Die leicht durchscheinenden Schwingen lagen gefaltet unter seinem Leib, tiefe Wunden überzogen seine Haut, doch keine von ihnen vermochte es, der Erhabenheit seiner Gestalt Abbruch zu tun. Sein Gesicht war still, aber nicht friedlich. Es schien, als würde er selbst im Tod nach innen lauschen, bis tief hinein in den Abgrund, der sich noch immer in ihm auftat und der nirgendwo sonst Erfüllung finden konnte als in diesem Herz der Dunkelheit. Nando wünschte sich, mit Hadros in die Finsternis blicken zu können, vor der er nun stand, und gerade in dem Moment, da ihm der Schmerz die Kehle zusammendrückte, begannen die Mönche zu singen.
    Dunkel und schwer waren ihre Stimmen, aber zugleich so kraftvoll, dass sie die Oberfläche des Sees aufwühlten und kühlen Wind über Nandos Wangen trieben. Sie sangen von Hadros, seinen Heldentaten aus lang vergangenen Tagen, seinem Weg in der Lehre des Lichts, seinen Stunden in einsamer Dunkelheit, und Nando sah ihn vor sich, den Krieger, der er einst gewesen war, und fühlte den Sturm des Abgrunds auf seiner eigenen Haut. Doch es war noch mehr in diesem Engel als die Nacht, die er wieder und wieder bezwungen hatte, und ehe Nando Worte dafür finden konnte, fiel Carmenya in den Gesang der Mönche ein. Hell und klar sang sie, wie ein Kind, das sich in bedingungsloser Liebe seines Vaters erinnerte, und da erklang eine weitere Stimme, die sich zärtlich und frei zwischen den mächtigen Silben der Engel hindurchschwang. Nando lächelte, als er Noemis Worten lauschte. Es war ein vergessenes Lied der Ra’fhi, das sie sang, und es verschmolz so gänzlich mit den Zeilen des Lichts, dass Nando sich an die Zeit zu erinnern meinte, in denen Engel und Dämonen noch nicht verfeindet gewesen waren.
    Ein Licht glomm in Hadros’ Brustkorb auf. Golden durchströmte es seinen Körper, und als er sich erhob und Schritt für Schritt auf den See zutrat, da glitten Schleier aus samtenem Glanz von ihm fort und in das Wasser hinein. Schemen tauchten aus der Tiefe, und als der Engel bis zur Hüfte im See stand, erhob sich das Gold des Gewässers und schuf die Landschaft der Armeon Rhay um ihn herum. Sanftes Gras wiegte sich im Wind, Nando konnte die Kräuter riechen, die zwischen den Steinen im Schatten wuchsen, und er spürte die Sonnenwärme auf dem Dach des kleinen Hauses – dem Haus am See Yriahrs.
    Hadros trat einen Schritt vor, die Lichtströme des Bildes glitten in seinen Körper hinein, und im selben Moment öffnete sich die Tür des Hauses. Eine Frau trat heraus, die Schwingen durchscheinend wie die Flügel einer Libelle. Etwas Seltsames lag in ihrem Blick, das Gold

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