Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
ihrer Augen war von silbrigen Adern durchzogen zum Zeichen dafür, dass das Leben sie seit langer Zeit verlassen hatte. Und doch glomm auch ihr Körper in warmem Licht, und als sie nun die Hand gegen den Schein der Sonne abschirmte und zu jenem Fremden hinübersah, der sie an ihrem Ort zwischen den Welten gefunden hatte, ging ein Staunen über ihr Gesicht, das ihre Züge ganz jung machte. Ihre Hand zitterte, als sie sie in tiefer Ergriffenheit zum Mund führte, und Nando spürte den Schauer, der sie beim Anblick des Engels ergriff.
Er sah Hadros Atem holen, als er den ersten Schritt auf seine Frau zutrat, und mit jedem Stück des Weges, das sie überwanden, glomm das Licht in ihnen in anderen Farben, bis es sich in ein tiefes, durchdringendes Leuchten verwandelte – in ein Licht, das alles durchströmte. Dicht beieinander blieben sie stehen. Sie sahen sich an, als würden sie im Gesicht des anderen nach Worten suchen, die ihnen erzählen konnten, was geschehen war, doch als sich ihre Blicke trafen, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Antlitz aus, das jede Frage, jeden Zweifel fortwischte. Sie hoben die Hände, ihre Finger berührten sich sanft, und kurz schien es, als würde jeder auf seiner Seite des Spiegels innehalten und nicht begreifen können, dass es tatsächlich die Wärme des anderen war, die sie auf der eigenen Haut spüren konnten. Ein Glitzern trat in Hadros’ Spiegelaugen und er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Und dann, mit einer einzigen lautlosen Bewegung, zog er Ranja in seine Arme und küsste sie.
Das Licht ihrer Körper verband sich zu einem Leuchten, das jeden anderen Schein als Schatten erscheinen ließ. Die Stimmen der Mönche strichen mit Carmenyas Gesang durch das Gras, Noemis Lied legte sich wie ein Schutzschleier über die Liebenden, und Nando konnte sie fühlen: die Ergriffenheit, die in diesem Augenblick durch seinen Körper ging und auch Avartos bis ins Innerste erfüllte. Kaya hielt auf seiner Schulter den Atem an, und er wusste nicht, ob er jemals ein Bild wie dieses gesehen hatte, aber er erinnerte sich wie im Traum an das Gefühl, das ihn nun durchströmte, dieses warme, sichere Gefühl der Geborgenheit in den Armen seiner Eltern, in Maras Lächeln oder dem Händedruck seiner Freunde. Dieses Gefühl war es, nach dem sich Hadros zeit seines Lebens gesehnt hatte, über jeden Abgrund aus Furcht hinweg, und nun hatte er es gefunden. Nun war Hadros, der mächtigste Krieger des Lichts, heimgekommen.
Schweigend schaute der Engel zu ihnen zurück. Er umfasste Carmenya mit seinem Blick, und für einen Moment erkannte Nando den Stolz auf seinen Zügen und die Zärtlichkeit, mit der er all die Jahre über an seine Tochter gedacht hatte, ohne es vor sich selbst zugeben zu können. Nun jedoch erwiderte er ihr Lächeln, und als die letzten Silben über ihre Lippen kamen und sie Abschied voneinander nahmen, geschah es ohne Bitterkeit und Groll. Schweigend neigte Carmenya vor ihrem Vater den Kopf, und als sie sich das Haar zurückstrich, da schien es, als würde Hadros es zwischen seinen Fingern spüren. Dann senkte er den Blick und betrachtete seine einstigen Gefährten.
Die Brüder des Lichts rührten sich nicht, aber Nando konnte die Frage hören, die Hadros ihnen stellte. Würden sie dem Sohn des Teufels in der letzten Schlacht um Aereson beistehen, wie er selbst es getan hätte? Angespannt wartete Nando auf eine Antwort, doch die Mönche schwiegen. Sie würden ihre Entscheidung nicht sofort treffen – nicht in diesem Moment, da der Erste unter ihnen sie verließ. Einer nach dem anderen neigte vor Hadros den Kopf, und er nickte leicht, als er zu Avartos und Noemi hinübersah und Kaya mit seinem Blick streifte.
Dann richtete seine Aufmerksamkeit sich auf Nando. Seine Augen schimmerten noch immer, doch sie hatten jeden kalten Glanz verloren. Fast lebendig wirkten sie in dem Licht Yriahrs, und der Schmerz über diesen Abschied schnitt tief in Nandos Brust. Doch er schämte sich seiner Tränen nicht. Stattdessen spürte er die Kraft des Pfortenschlüssels in seinem Fleisch, die Macht jenes Erbes, das dieser Engel ihm übertragen hatte, und er schwor vor sich selbst und jedem Licht der Welt, dass er sich seiner als würdig erweisen wollte. Sanft strich eine Hand durch sein Haar. Vielleicht war es die Hand eines Engels, der in einem Feld aus Mohn gestorben war, oder die Hand eines Kriegers, der aus weiter Ferne zu ihm herübersah und dessen Blick ihn doch im Innersten berührte.
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