Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

sie dem gesamten Hokuspokus der Engel am liebsten den Rücken kehren. Aber da flog ein Raunen durch den Saal, es schien, als würde es aus den starren Mündern der Statuen kommen. Dicht vor ihrer Platte blieb Noemi stehen. Jeder Spott war von ihrem Gesicht gewichen. Sie schaute zu Nando herüber wie die Kriegerin, die damals gegen die metallenen Engel von Morpheus gekämpft hatte, und er musste daran denken, wie furchtlos sie ihm erschienen war und wie viel Kraft in jeder ihrer Bewegungen gelegen hatte. Ungebrochen stand ihr Wille hinter der goldenen Maske, die sie trug, und Nando neigte kaum merklich den Kopf. Kein unheilvolles Raunen aus toten Kehlen konnte Noemi ängstigen, so viel stand außer Zweifel. Sie nickte langsam, und gleichzeitig betraten sie die Platten.
    Der Boden begann zu beben, als wären die grollenden Stimmen aus der Luft in ihn hineingesunken und würden nun die Erde zum Bersten bringen wollen. Nando schwankte, doch er hielt das Gleichgewicht und sah angespannt zu, wie der Zauber zu glühen begann. Kurz meinte er, einen Stich im Nacken zu fühlen. Dann hörte das Beben auf, und nach einer winzigen Pause zerbrach der Zauber in zwei gleißende Kugeln und raste auf Nando und Noemi zu. Instinktiv riss Nando seinen Stock in die Höhe und traf den Zauber mit voller Wucht. Fauchend wich das Licht zurück und schwebte über ihm wie eine bösartige Hornisse. Nando umfasste seinen Stock fester. Er hatte die Kraft gefühlt, die in diesem Licht steckte, glühend war sie durch seine Finger gerast. Er wollte zu Noemi hinübersehen, doch da schnarrte das Licht auf und teilte sich in fünf Kugeln, die auf ihn niederstürzten.
    Krachend zerschlug er zwei Geschosse zu prasselnden Funken, wich einem dritten mit geschickter Drehung aus und konnte ein viertes gegen eine der Säulen schleudern. Die fünfte Kugel traf ihn an der Schulter. Ein brennender Schmerz ergriff ihn und schickte eine Erinnerung in seinen Körper, deren Intensität ihm für einen Moment den Atem nahm. Es war Mara, lachend am Küchentisch, Nando konnte die Wärme der Sonnenstrahlen auf dem Boden spüren und nahm den Duft des Kaffees wahr. Rasch verstärkte er die Kälte seines Oreymons. Die Erinnerung verblasste, aber schon teilte sich der Zauber erneut. Nando schmetterte eine der Kugeln zurück, doch der Rückstoß ließ ihn taumeln, und sofort traf ihn die andere mehrfach an Brust und Hüfte. Mit jedem Hieb flammte ein neues Bild in ihm auf, das die Gefühle lang vergangener Tage aufblitzen ließ. Mara am Grab seiner Eltern, Mara allein und weinend vor dem Foto ihrer Schwester. Nandos Hände zitterten, als seine Empfindungen ihn fluteten, und er hörte das tiefe Grollen der Engelskrieger ebenso deutlich wie das höhnische Surren des Zaubers, der nun in sieben Kugeln zerbrach. Aber gerade in dem Moment, da sie auf ihn zustürmten, schürte er erneut sein inneres Licht und riss den Stock in die Luft. Zwei Kugeln trafen ihn an der Seite, aber im selben Augenblick stand er reglos inmitten seines Oreymons und ließ sich von der Kälte des Lichts durchdringen. Er fühlte keinen körperlichen Schmerz, und die Erinnerungen zerbrachen, ehe sie ihn treffen konnten. Er wirbelte herum, so schnell, dass er die Luft in Fetzen riss, und traf alle fünf übrigen Kugeln mit einem raschen Folgehieb. Funkensprühend fielen ihre Überreste zu Boden, und als Nando auf der Platte aufkam, meinte er für einen Moment, einen seltsamen Glanz durch die Augen der Statuen fliegen zu sehen – sie schienen zu lächeln.
    Umso heftiger erschrak er, als die Funken um ihn herum plötzlich innehielten. Ein spöttisches Wispern ging durch sie hindurch, und sie entfachten sich zu einem Dutzend neuer Zauber. Nando warf Noemi einen Blick zu und sah zu seinem Schrecken, dass sie ebenfalls von zahlreichen Lichtern bedrängt wurde. In rasender Geschwindigkeit bewegte sie sich durch die Luft, doch immer wieder schlugen sie ihr tiefe Wunden, und Nando konnte ihr vor Schmerz verzerrtes Gesicht sehen. Er umfasste seinen Stab. Es würde erst aufhören, wenn sie den Zauber gänzlich bezwungen hatten – wenn kein Licht mehr da war, das sie verbrennen konnte.
    Die Kugeln um ihn herum fauchten auf, er sprang in die Luft, doch während er selbst drei von ihnen zerschlug, brachen auf Noemis Seite zahlreiche neue hervor. Nando landete am Boden, zwei Kugeln trafen ihn im Nacken, aber sie verwundeten ihn nicht. Schwer atmend ließ er das weiße Licht seines Oreymons durch seine Gedanken strömen und