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Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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es war nicht länger das Blut der Kinder, das er wahrnahm: Es war das Blut des Teufelssohns – das Blut eines Menschen, das vor nicht langer Zeit auch aus Kymbras Adern in die Schatten gefallen war. Pherodos starrte auf die rote Farbe, und ohne dass er etwas dagegen tun konnte, tauchte in seinen Gedanken ein Frauengesicht durch das Blut. Lockiges Haar fiel ihr in die Stirn, ihr Mund lachte ausgelassen, und ihre Augen waren blau wie der Himmel an klaren Tagen. Pherodos hatte ihr Gesicht fast vergessen, aber nun, da es aus den Tiefen seines Gedächtnisses aufgetaucht war, rief es etwas wach in ihm – etwas, an das er um nichts in der Welt erinnert werden wollte. Schon veränderte sich das Gesicht der Frau, Furcht stand nun auf ihren Zügen, und Pherodos fühlte das Entsetzen darüber wie damals, als er es leibhaftig gesehen hatte. Eine seltsame Sehnsucht erfasste ihn, herausfinden zu wollen, was er mit diesem Bild so weit zurückgedrängt hatte, dass es ihn nun so heimtückisch aus den Abgründen seines Inneren überfallen konnte. Aber gleichzeitig wehrte er sich dagegen, mit aller Macht riss er den Kopf zurück, um das Bild von sich fernzuhalten, und da hörte er sie schreien. Ihre Stimme zerriss und wurde zu einem Weinen, dem Weinen der Kinder, die er nicht hatte retten können, und er betrachtete die Toten um sich herum und rief seinen Zorn. Glühend schoss er durch seine Glieder, nahm jede lächerliche Sehnsucht mit sich und vermengte sich mit dem Hunger Ligurs, dem Verfall Raars, der Dunkelheit Kymbras. Von den Tränen dieser Kinder wurde er durch die Schatten getrieben, lautlos und so schnell, dass die Finsternis in seinem Atem erstarrte. Nun konnte Pherodos sie sehen, die Erinnerungen des Teufelssohns, die dessen Blut barg, und er durchbrach sie alle. Grell traf ihn das Licht der Oberwelt, und im selben Moment, da er über die Dächer Roms dahinraste und den Kopf in den Nacken riss, um jener verfluchten Stadt der Engel die Stirn zu bieten, sah er sich tief in den Schatten von außen – dort auf den Hügeln des Zorns, vom Blut der Kinder überzogen. Gemeinsam mit den mächtigsten Kriegern der Nacht ballte er die Fäuste, und in einem einzigen donnernden Ton brüllten sie den Schlachtruf der Schatten in die Nacht.
    »Mar’ Lakar!«, raste der Fluch der Hölle durch die Dämmerung. »Lurtan ar Thornyiel!«
    Er ließ diesen Ruf in sich widerhallen, ließ ihn durch jeden Leib auf diesen Hängen dringen, und für einen Augenblick stand er wieder in der Wüste Udhurs, die Faust fest um sein Schwert geschlossen, und schaute hinauf in Richtung des Lichts. Jede Nacht hatte er sich geschworen, diesen Glanz für seinen Spott zu strafen, jeden Tag war er in seinem Kerker der Glut des Zorns gefolgt, um sie nicht versiegen zu lassen für jene Stunde, in der er Vergeltung üben würde – aber jetzt, auf den Leichen seines Volkes, da er Raars Stimmen in sich tosen hörte, nun, da er Ligurs Hunger fühlte und Kymbras Sehnsucht in der Finsternis, da schwieg die Unruhe in ihm für einen Moment, und er spürte eine Gewissheit wie niemals zuvor. Er würde nicht dulden, dass irgendwelche Bilder seiner Vergangenheit ihn von seinem Pfad abbrachten – um nichts in der Welt! Er würde seine Rache bekommen!
    Langsam ließ er die Arme sinken und öffnete die Augen. Er kniete auf einem Feld aus bleichen Knochen. Ein seltsamer Wind stob über die Ebene, und seine Haut war trocken und sauber wie die seiner Gefährten, als hätten sie nie auch nur einen Tropfen Blut am Leib gefühlt. Als sie auf die Beine kamen und das Licht Nhor’ Kharadhins in ihren Augen aufflammte, da lächelte Pherodos. Sie alle hatten gefühlt, was er gefühlt hatte. Ligur, Klaue des Hungers, Raar, Schatten des Verfalls, Kymbra, Schwinge der Ewigkeit, sie alle trugen den Zorn ihres Volkes in sich, seine Gier, seine Krankheit, seine Sehnsucht, und sie würden die Schreie der Kinder mit sich nehmen – hinauf ins Licht, dorthin, wo der Sohn des Teufels auf sie wartete.

12
    Über dem langen Korridor lag finsteres Schweigen. Nur die Fackel in Nandos Hand spendete etwas Licht und ließ die gläsernen Wände aufglühen, wenn er an ihnen vorüberging. Einige Türen zweigten vom Gang ab und begannen im Flammenschein zu wispern, als würde jede von ihnen ein unaussprechliches Geheimnis verbergen.
    Nur mühsam konnte Nando sich davon abhalten, sie zu öffnen. Aber er war sich sicher, dass Avartos ihn, ohne zu zögern, einen Kopf kürzer machen würde, wenn er herausfände,

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