Die Chroniken des Paladins 01. Tharador - Bellem, S: Chroniken des Paladins 1 Tharador
wahre Macht verdienen und wurde dadurch auch angemessen respektiert. Hier im Norden mussten die Regenten ihren Herrschaftsanspruch ständig durch solche Bildnisse oder besonders grausame Strafen rechtfertigen, von denen der Galgen vor den Stadttoren zeugte.
Er betrachtete die Gestalt auf dem Bild genauer. Eine Inschrift in der rechten unteren Ecke verriet ihm, dass es sich um ein recht junges Werk handelte. Der Graf war also ein Mann in den besten Jahren, dachte Dergeron. Er sah gesund und kräftig aus, Entschlossenheit und eine spürbare Kälte lagen in seinem Blick. Dergeron fühlte, wie das Gemälde ganz allmählich die erstrebte Wirkung auf ihn erzielte. Er empfand Respekt für einen Mann, dem er noch nie zuvor begegnet war.
Ihm blieb keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Ein großer, breitschultriger Mann trat ein, gerüstet in ein einfaches Kettenhemd, über dem ein Wappenrock mit den Insignien der Grafschaft prangte, und mit umgegürtetem Schwert. Durchdringend starrte der Neuankömmling ihn an.
»Diesem Gemälde hier entnehme ich, dass Ihr nicht der Graf seid«, begrüßte Dergeron den Soldaten gelassen. »Ist er nun bereit, mich zu empfangen?«
Der Mann nickte knapp und öffnete die Tür noch weiter, sodass Dergeron an ihm vorbeigehen konnte.
Der Graf saß hinter einem großen Schreibtisch aus dunklem Holz in einem geräumigen Arbeitszimmer. Flauschige Teppiche bedeckten den Boden, Gemälde zierten auch hier die Wände. Dergeron wurde ein Platz unmittelbar vor dem Tisch angeboten, und Totenfels nickte dem Soldaten zu. »Danke, Salvas.« Der Mann postierte sich statuenhaft vor der Tür, den Blick ununterbrochen auf Dergeron geheftet.
»Nun«, begann der Graf ohne Umschweife, »man sagte mir, Ihr seid ein Gesandter Surdans.«
Dergeron musterte Graf Totenfels, während dieser mit ihm sprach. Der Graf hatte den Künstler eindeutig angewiesen, ihm auf dem Portrait ein gutes Maß mehr an Würde und Größe zu verleihen, als er eigentlich besaß. Lediglich das Alter schien zu stimmen. Der Graf war von bestenfalls durchschnittlicher Größe und eher schmächtig. Seine Wangen waren eingefallen, und der gesamte Körper wirkte seltsam ausgezehrt, als wäre das Ölbildnis eine Erinnerung an vergangene, bessere Zeiten. Entweder arbeitete der Graf zu viel und zu lange, oder das Gerücht über einen Schicksalsschlag entbehrte nicht einer gewissen Wahrheit, dachte Dergeron.
Der Graf hatte eindeutig nicht mit einem Abgesandten Surdans gerechnet. Er straffte die Haltung ein wenig und räusperte sich mehrmals, ehe er fortfuhr. »Und was führt Euch in meine Ländereien?«
»Verrat«, entgegnete Dergeron trocken und sicherte sich damit die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Gegenübers. Dann erzählte er von neuem seine Lügengeschichte über Tharador. Graf Totenfels hörte interessiert zu und stellte ab und an eine Zwischenfrage. Als der Krieger aus Surdan endete, stützte er die Ellbogen auf den Tisch und legte die Fingerspitzen vor dem Mund aufeinander.
Dergeron nutzte diese Pause, um sich im Zimmer umzusehen. Zu seiner Linken befand sich eine breite Fensterfront, die in den Innenhof der kleinen Burganlage blickte. Die Eingangstür lag hinter ihm auf der rechten Seite des Raumes. Hinter dem Grafen zierten zwei weitere Gemälde die Wand. Eines zeigte den Grafen, jedoch war er auf dem Bild sehr viel jünger. Das andere war ein Portrait einer jungen und überaus hübschen Frau. Dergeron musste unwillkürlich an seine Begegnung mit der rothaarigen Diebin denken und spürte, wie sein Blut augenblicklich in Wallung geriet. Ein Räuspern des Grafen riss ihn aus seinen Gedanken. »Verzeiht meine Unaufmerksamkeit«, beeilte er sich mit einer Entschuldigung, »ich war nur so gefesselt von Euren Gemälden. Ich nehme an, es handelt sich bei der Frau um Eure werte Gemahlin?«
Der Graf seufzte so schwer und voller Trauer, dass Dergeron fürchtete, sein Gegenüber würde gleich in Tränen ausbrechen. Sofort dachet er an das Gerede über das Schicksal des Grafen und verfluchte sich innerlich für seine ungeschickte Frage.
»Meine Frau starb vor vielen Jahren«, erwiderte der Graf schließlich, sichtlich darum bemüht, die Trauer in seiner Stimme zu überspielen, »und mit ihr unser Kind.«
»Verzeiht, Herr. Wenn ich das geahnt hätte, dann ...«
Der Graf winkte ab: »Ihr tragt keine Schuld. Weder an ihrem Tod noch an meiner Trauer.«
»Ihr sollt wissen, dass ich im Namen von ganz Surdan spreche, wenn ich Euch mein Bedauern
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