Die Chroniken des Paladins 01. Tharador - Bellem, S: Chroniken des Paladins 1 Tharador
schulterte den Rucksack und zog die beiden bestrichenen Handschuhe vorsichtig über die anderen. So hoch sie konnte, griff sie an die Wand und zog sich langsam daran empor.
Es klappte. Das Harz hielt ihrem Gewicht stand. Vorsichtig setzte sie eine Hand über die andere, bemühte sich, jeden möglichen Halt mit den Füßen auszunutzen, um das Klettern zu erleichtern.
Sie hatte die Brüstung schon fast erreicht, als das Pfeifen des Windes schwach die Schritte eines Wächters an ihre Ohren trug.
Jeder andere hätte bei dem starken Wind und Regen kaum sein eigenes Wort verstanden, doch die Diebin besaß ein überaus feines Gehör. Manchmal waren die Ohren das Einzige, worauf sie sich verlassen konnte, und so hatte die junge Frau über die Jahre hinweg ihre Wahrnehmung gesteigert.
Sie klammerte sich längs an die Schräge und zog die Beine nach oben, sodass sie vollständig unter dem Vorsprung verschwand.
Feine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn; lange würde sie sich auf diese Weise nicht halten können.
Der linke Handschuh gab langsam nach.
Das Harz haftete an den nassen Mauersteinen nicht so gut wie unter trockenen Bedingungen. Noch immer waren die Schritte zu hören. Der Soldat musste nun gerade an ihr vorbeigegangen sein, so deutlich konnte sie das Geräusch der eisenbeschlagenen Stiefel ausmachen.
Hastig sah sie sich um. In wenigen Augenblicken würde auch der rechte Handschuh nachgeben, und sie würde vierzig Fuß in die Tiefe stürzen. Neben ihr befand sich ein kleiner Spalt in einer der Fugen zwischen den großen Gesteinsblöcken. Sie hatte keine Wahl. Die Diebin schlüpfte mit der linken Hand aus dem Handschuh und zog einen der Dolche. Dessen Klinge schob sie vorsichtig, um kein unnötiges Geräusch zu verursachen, in die Spalte, und hoffte, dass die Waffe ihr Gewicht tragen würde.
Die Wache war endlich vorüber, und der Dolch konnte die Belastung tragen, wenn er sich dabei auch gefährlich nach unten bog.
Sie dankte den Göttern für ihr Glück, steckte den Dolch in die Scheide und fuhr mit der Hand blitzschnell wieder in den Handschuh, der noch immer an der Brüstung klebte. Stück für Stück tastete sie sich weiter, bis sie die Kante der Mauer fand und sich leise daran emporzog. Sie glitt auf den Rundgang und duckte sich sofort hinter die Mauer. Der Soldat war weder zu sehen, noch zu hören. Sie klebte die Handschuhe mit den Handflächen aneinander und verstaute sie in ihrem Rucksack.
Der nördliche Wehrgang lag direkt an der Burgmauer, und bis zur Dachkante waren es nur noch ein paar Fuß. Allerdings war das Dach bei diesem Wetter sehr rutschig; es würde schwierig werden, sich darauf zu halten und schnell genug vorwärts zu kommen.
Sie holte eine kleine Armbrust aus dem Rucksack und knotete mit geübten Griffen ein Ende des Hanfseils an einen seltsam geformten Bolzen. Dieser wies eine große und schwere Spitze auf, von der vier widerhakenartige Stacheln rechtwinklig zueinander abstanden.
Sie zielte auf einen der Kaminschächte und feuerte den kleinen Kletterhaken ab. Mit einem kräftigen Ruck prüfte sie, ob er sich auch wirklich verkeilt hatte. Zufrieden nickte sie, und einen Augenblick später erklomm sie ohne besondere Mühe das Dach. Oben angekommen, verankerte sie den Haken noch fester in der Mauer und band sich ein Ende des Seils um den Fuß. Sie musste sich ungefähr über dem Fenster des Arbeitszimmers befinden. Vorsichtig stieg sie das Dach hinab. An der Kante legte sie sich flach auf den Bauch und überprüfte erneut ihre Position. Unter ihr lag das Arbeitszimmer des Grafen.
Sie schlang das Seil mehrmals um ihre Beine und glitt sanft über die Kante. Kopfüber hing die Diebin vom Dach und gab mit ihren Beinen vorsichtig immer mehr Seil frei. So ließ sie sich langsam weiter hinab.
Das Fenster zu öffnen, erwies sich als Kinderspiel. Es war nur durch einen einfachen Haken von innen verschlossen, den sie bloß mit dem zwischen die Fensterfuge geschobenen Dolch anzuheben brauchte.
Behutsam löste sie das Seil von ihrem Knöchel und hielt sich daran fest. Anschließend sprang sie mit leichtem Schwung durch das Fenster und landete sanft, geräuschlos im Arbeitszimmer.
Vor ihr standen der massive Arbeitstisch des Grafen sowie ein bequemer Sessel. Am gegenüberliegenden Ende des spärlich ausgestatteten Raumes konnte sie die Tür erkennen. Hinter dem Schreibtisch schmückten zwei Gemälde die Wand. Eines zeigte den Grafen selbst, das andere seine verstorbene Gemahlin. Einen
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