Die Chroniken des Paladins 01. Tharador - Bellem, S: Chroniken des Paladins 1 Tharador
ohne dass er sich ihrer bewusst war. Er berührte die Nachbildung aus Gold, als würde er die lebendige Hand seines Vaters berühren.
Das ganze Leben hatte er sich nach einer Begegnung mit seinem Vater gesehnt. Seine Mutter hatte ihm nie die Wahrheit gesagt, doch er machte ihr keinen Vorwurf. Sie hatte es sicher vorgehabt, doch eine schwere Lungenerkrankung hatte sie viel zu früh aus seinem Leben gerissen. Nun war er ganz allein, und alles was er hatte, war die kalte Berührung einer leblosen Statue.
Nein, nicht ganz allein. Er hatte Freunde gefunden, die ihn begleiteten. Freunde, die ihn unterstützten und ihm vertrauten. Vielleicht war eine Familie nicht unbedingt notwendig, dachte Tharador plötzlich, und die Berührung der goldenen Hand fühlte sich mit einem Mal weniger schmerzhaft an.
»Vater«, sagte er erneut, doch diesmal klang seine Stimme nicht traurig, sie klang erfreut. Tharador hatte hier etwas gefunden, was er lange Zeit gesucht hatte. Näher konnte er seinem Vater zu Lebzeiten nicht mehr kommen, dessen war er sich bewusst. Und die Tatsache, dass er ihn überhaupt gefunden hatte, erfüllte ihn mit tiefer Freude.
* * *
Er hatte sie heimlich belauscht. Dergeron war wütend gewesen und hatte sich in sein Schlafgemach begeben wollen, als er den König, Tharador und seine beiden Spießgesellen durch einen Bogen im Säulengang durch den Garten spazieren gesehen hatte. Dass hier etwas nicht zu seinen Gunsten abgelaufen war, war ihm sofort klar gewesen, daher hatte er beobachtet, wie sie zu einer kleinen Kapelle gegangen waren, und war ihnen unbemerkt gefolgt, indem er sich in den dunklen Schatten der vielen Erker des Schlosses verborgen hatte.
Der Krieger war selbst überrascht, dass er ihnen hatte folgen können, ohne bemerkt zu werden. Die Unterhaltung des Königs mit Tharador hatte offenbar all ihre Aufmerksamkeit beansprucht. Was er aber erfahren hatte, überraschte und beunruhigte ihn sehr. Der Sohn eines Engels. Welche Kräfte wohl in ihm schlummerten und darauf warteten, freigesetzt zu werden? Er dachte auch über seine Veränderung nach und über die Kräfte, die Xandor in ihm geweckt hatte.
Noch hatte er eine Chance, deshalb musste er Tharador hier und jetzt töten. Er konnte spüren, dass Tharador noch nicht völlig bereit war. Er war zu unschlüssig, um ein ernsthafter Gegner für ihn zu sein.
Wie gut, dass er bereits nahezu alles in die Wege geleitet hatte.
Mit besserer Laune als noch vorher beim Essen ging er in sein Schlafgemach, bevor Tharador und seine Freunde aus der kleinen Kapelle traten.
Auf seinem Zimmer angekommen, legte er sich aufs Bett und starrte in Gedanken verloren an die Decke. Eine ganze Weile spielte er in seinem Geist den bevorstehenden Kampf durch. Der Gedanke daran, wie er den Paladin zur Strecke bringen würde, erregte ihn. Ein ähnliches Gefühl verspürte er auch immer, wenn er mit Calissa zusammen war.
Der Gedanke an sie erinnerte ihn wieder an das Abendessen und an seinen Wutausbruch. Wieso war er am Tisch so ausgerastet?
Bisher hatte er doch immer alles unter Kontrolle gehabt, warum war ihm vor dem König ein solches Missgeschick passiert?
Dergeron war sicher, dass Tharador Interesse für sie hegte. War er deshalb auf ihn eifersüchtig?
Er setzte sich aufrecht ins Bett und versuchte, seine Gefühle zu ergründen. Schon bald gelangte er zu der Einsicht, dass es tatsächlich Eifersucht war, aber nicht weil er die Diebin liebte, sondern vielmehr, weil Tharador sie begehrte und er sie lieber tot sehen wollte als in den Armen des Paladins. Sie war seine Eroberung,er hatte sie mitgebracht, und er würde alles daran setzen, damit sie nicht zu Tharador gehören würde. Der Paladin hatte sein Leben zerstört und ihm alles genommen, das ihm jemals wichtig gewesen war, und das war der einzig wahre Grund, warum er ihn zerstören, ihm alles nehmen wollte. Er sollte sterben mit dem Wissen, dass er nichts hatte und nichts und niemand um ihn trauern würde.
Die hübsche, junge Frau war für ihn nur Mittel zum Zweck, der Krieger hatte sich köstlich mit ihr amüsiert, aber einfach keine Zeit, sich um derlei unbedeutende Gefühle zu kümmern.
Er dachte wieder daran, wie er Tharador demütigen könnte, und seine Erregung kehrte wieder. Und am Ende würde er ihn vernichten.
* * *
Tharador schaute nachdenklich durch das Blätterdach der Bäume zu den Sternen.
»Der König scheint auf unserer Seite zu sein«, bemerkte er.
»So scheint es. Immerhin hätte er uns schon
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