Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
berichtet, die die Fremden hier begangen haben. Ich habe sie um ein Treffen gebeten, bei dem wir über den Konflikt zwischen unseren Ländern sprechen können.« Abermals Schweigen. Auf den Gesichtern in der Halle zeichnete sich ehrliches Staunen, teilweise sogar Entsetzen ab. Die älteren Magier, die der Weisen am nächsten saßen, waren von ihrer Enthüllung am meisten verstört, und keiner von ihnen mehr als Erland.
»Mit welcher Autorität hast du das getan?«, wollte er wissen.
»Mit meiner eigenen!«, fauchte Sonel mit blitzenden grünen Augen. »Ich bin das Oberhaupt dieses Ordens, Erland, in aller Form von dir und den anderen Meistern gewählt. Möchtest du dieser Wahl widersprechen?«
»Auf keinen Fall, Eulenweise«, antwortete der Eulenmeister schnell und sah sich nervös um. »Ich bin einfach nur überrascht, dass du einen solchen Brief geschrieben hast, ohne dich mit uns anderen abzusprechen.«
»Es war mir nicht bewusst, dass ich das tun sollte!«, entgegnete die Weise, und jedes Wort war wie ein Schlag, der auf den älteren Magier niederging. »Ich hatte zu diesem Zeitpunkt das Gefühl, dass es an der Zeit war, mich mit den Anführern von Lon-Ser in Verbindung zu setzen, und als Weise betrachte ich das nicht nur als mein Vorrecht, sondern auch als meine Verantwortung!«
»Haben sie geantwortet?«, fragte Baden.
Sonel starrte Erland noch einen Augenblick wütend an, dann antwortete sie. »Ja, heute früh.« Baden sah, wie sie ein Stück schneeweißes Pergament aus dem Umhang zog und aufrollte. »>Eulenweise Sonel<«, las sie laut vor, »betreffend deinen Brief vom vergangenen Winter: Wir haben keinerlei Kenntnis von den Ereignissen, die du beschreibst, und wir wünschen auch nicht, in etwas verwickelt zu werden, das für uns vollkommen wie eine der internen Streitigkeiten aussieht, wie sie in Tobyn-Ser nun einmal üblich sind.<« Sie blickte auf und ließ zu, dass sich das Papier wieder zusammenrollte.
Alle starrten sie einige Zeit sprachlos an. »Das ist alles?«, fragte Baden schließlich. »Mehr haben sie nicht geschrieben?«
»Leider nicht.«
»Sie lügen!«, rief einer der jüngeren Magier. Mehrere andere stimmten ihm lautstark zu.
Baden nickte bedächtig. »Zumindest einer von ihnen lügt«, bemerkte er, mehr zu sich selbst als zu den anderen Magiern. Sonel sah ihn fragend an. »Wie meinst du das?« »Ich denke einfach, wir sollten nicht vergessen, was wir über Lon-Ser und seine Regierung erfahren haben.« Er war wieder aufgestanden, spürte abermals, wie alle Blicke auf ihm ruhten. Und nun nahmen sie jedes Wort begierig auf. Ganz gleich, was sie von ihm hielten, niemand zweifelte daran, dass Baden mehr über ihren Feind wusste als jeder andere in Tobyn-Ser. »Die höchste Position in Lon-Ser hat der so genannte Herrscherrat inne, und in diesem Namen liegt große Wahrheit: Jedes der drei Nals, der riesigen Städte, von denen ich zuvor schon sprach, stellt eine unabhängige Einheit da, mit einem eigenen Regenten, eigenen Bräuchen, eigener Kultur und eigenen Problemen. Die Anführer kommen zu diesem Rat zusammen und legen die Politik des Landes als Ganzes fest, aber sie vertreten unterschiedliche und mitunter rivalisierende Interessen. Nach dem, was Baram mir gesagt hat, würde ich annehmen, dass sie nicht immer miteinander auskommen. Sie teilen freiwillig keine Informationen über ihre technischen Fortschritte, denn jeder betrachtet den anderen als wirtschaftlichen Rivalen. In der Vergangenheit haben sie sogar Kriege gegeneinander geführt.«
»Du nimmst also an«, warf Trahn ein, »das eines der Nals die Angriffe auf Tobyn-Ser organisiert hat, ohne die anderen Herrscher um Zustimmung zu bitten?«
Baden nickte abermals. »Ich halte es zumindest für möglich. Baram kommt aus Bragor-Nal, dem größten und, wenn man ihm glauben darf, dem mächtigsten der drei.« Er wandte sich wieder an Sonel. »Dieser Brief, den du uns vorgelesen hast, wurde von zweien der drei Herrscher vielleicht in gutem Glauben unterzeichnet.«
»Und in diesem Fall«, beendete die Weise Badens Gedankengang, »haben wir nicht unbedingt ein Problem mit ganz Lon-Ser, sondern mit einem einzelnen Nal.«
»Ja. Wahrscheinlich mit Bragor-Nal.«
»Jetzt fängst du an zu spekulieren«, protestierte Erland. »Du kannst dir dieser Dinge nicht sicher sein.«
»Das stimmt«, gab Baden friedlich zu.
»Und dennoch erwartest du von uns, dass wir allein aufgrund deiner Spekulationen handeln?«
»Ich muss sagen, Baden«, meldete
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