Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
innen gerichteten Blick seiner scharfen blauen Augen, den tiefen Falten auf der Stirn und dem unwillkürlichen Anspannen der Kiefermuskeln, dass im Kopf des hageren Eulenmeisters ein schwerer Kampf tobte. Und er ahnte, um was es da ging. Baden wusste, dass die einzige Hoffnung des Ordens, den Herrscherrat zu überzeugen, darin bestand, Baram nach Lon-Ser mitzunehmen. Das hatte er Jaryd und den anderen schon am Abend zuvor gesagt, als sie im Schankraum des Adlerhorstes gesessen hatten. Aber Baden hatte schon viel dafür einstecken müssen, dass er versucht hatte, Baram vor der Hinrichtung zu retten - man hatte ihn so oft lächerlich gemacht und verspottet, man hatte sogar eine Puppe, die Baden darstellen sollte, auf den Straßen der Stadt verbrannt! Wenn der Eulenmeister nun vorschlagen würde, dass der Fremde nach Hause geschickt werden sollte, würde ihn das nur weiteren Angriffen durch Erland, Arslan und die Bewohner von Amarid aussetzen, die ebenfalls offenbar nicht verstanden, welch gewaltiger Gefahr Tobyn-Ser gegenüberstand. Das alles kam Jaryd so ungerecht vor: Niemand hatte mehr dafür gegeben, dem Land zu dienen und es zu schützen, als sein Onkel, und niemand hatte einen höheren Preis dafür gezahlt.
Also tat Jaryd das Einzige, was er konnte, obwohl er sich der Vergeblichkeit der Geste durchaus bewusst war: Er wartete, bis sein Onkel offenbar zu einem Entschluss gekommen war. Er sah Badens Blick an, wofür der Eulenmeister sich entschieden hatte, erkannte auch seine Resignation, und dann sprang er selbst auf, bevor Sonel Baden bitten konnte zu sprechen.
»Eulenweise!«, rief er. »Es gibt einen Beweis, den wir dem Herrscherrat bieten können, den sie nicht werden abtun können!«
Plötzlich schwiegen alle.
»Jaryd, lass das«, bat Baden. »Das hier ist eine Bürde, die ich selbst auf mich nehmen muss.«
Aber Jaryd richtete weiter seinen eindringlichen Blick auf die Eulenweise, die ihrerseits mit unverhohlener Neugier zurückstarrte. »Sag es uns«, verlangte sie. »Welcher Beweis könnte so unerschütterlich sein?«
»Baram. Unser Gefangener aus Lon-Ser.«
Jaryd war am Tag zuvor verblüfft gewesen über die Heftigkeit der Reaktion auf Sonels Vorschlag, Magier nach Lon-Ser zu schicken, und er hatte in vergangenen Jahren ähnlich heftige Ausbrüche bei Versammlungen erlebt. Aber nichts davon kam auch nur annähernd an die Wildheit und Macht der Eruption heran, die seine Worte an diesem Tag hervorriefen. Magier und Meister brüllten ihm die übelsten Schimpfworte zu und nannten ihn einen Verräter; zwei der jüngeren mussten mit Gewalt davon abgehalten werden, sich auf ihn zu stürzten, und einer von Erlands älteren Verbündeten regte sich so auf, dass er tatsächlich zusammenbrach und allen einen Augenblick lang Angst einjagte, aber auch das half wenig, um die Leidenschaft zu verringern, die von Jaryds Vorschlag entfesselt worden war. Als Orris und Trahn versuchten, ihn ihrer Unterstützung zu versichern, wurden sie niedergeschrien, und beinahe hätten Orris und Arslan sich geprügelt. Selbst Sonel konnte die Ruhe nicht wiederherstellen. Am Ende war es Alayna, die für abruptes Schweigen sorgte, indem sie einen hellen Bogen lilafarbenen magischen Lichts aus dem Kristall auf ihrem Stab aufblitzen ließ, der sich über den Ratstisch zog und am anderen Ende des Saals in der dunklen, brütenden Masse des Rufsteins landete.
»Hört sofort auf!«, befahl sie mit stählerner Stimme. »Alle! Aufhören!« Alle in der Halle starrten sie an. Die Stille, die sie hervorgerufen hatten, wirkte nach dem vorangegangenen Tumult seltsam und fremd. »Das ist aus uns geworden? Sind wir nicht einmal mehr fähig, miteinander zu sprechen? Bei den Göttern, wir sind Magier! Ganz Tobyn-Ser blickt zu uns auf, alle erwarten, dass wir das Land schützen und anleiten, und wir können nicht einmal über unsere eigenen Probleme sprechen, ohne uns an die Kehle zu gehen!« Sie hielt inne und sah einen nach dem anderen wütend an, forderte sie heraus, das Wort gegen sie zu erheben. »Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas einmal sagen würde«, fuhr sie mit fester Stimme fort, obwohl ihr eine einzelne Träne über die Wange lief, »aber ich schäme mich, zu diesem Orden zu gehören.« Ohne ein weiteres Wort hob sie den Arm für Fylimar, ihren majestätischen grauen Falken, und begann, auf das Tor zuzugehen. »Alayna, bitte geh nicht«, rief Sonel ihr hinterher. »Nicht so.«
Die Falkenmagierin blieb stehen, und nach einem
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