Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
nach Lon-Ser, und zwei Männer versuchen ihn zu töten. Glaubst du nicht, dass die Götter mir das aus einem bestimmten Grund gezeigt haben?« Sie wollte ihn nicht ansehen, aber schließlich nickte sie. »Wann?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht. Bald. Es war immer noch kalt, obwohl es sich so anfühlte, als wäre die schlimmste Winterkälte vorüber.« Er war immer noch überrascht über die Dinge, die er in seinen Visionen erfuhr. Er hatte nicht viel über die Jahreszeit nachgedacht; ihm war nur aufgefallen, dass es kalt war und das Pflaster nass. Aber irgendwie hatte er gewusst, dass die Ereignisse zu Beginn des Frühjahrs stattfanden. Und das hieß, dass er wirklich bald aufbrechen musste. Er hatte viele hundert Meilen vor sich.
»Du solltest morgen früh mit dem Vorbereitungen beginnen«, sagte sie und schaute ihn nun eindringlich an. »Wenn es erst richtig Winter geworden ist, wirst du Schwierigkeiten haben, rechtzeitig im Nal zu sein.«
»Du hast wahrscheinlich Recht.«
Wieder schwiegen sie und sahen einander im Kerzenlicht an. Wie kann ich sie verlassen?, fragte er sich. Und dann erinnerte er sich an seine Vision und alles, was sie bedeuten konnte, und beantwortete seine eigene Frage. Ich bin der Träger des Steins. Wie könnte ich anders handeln? »Wir sollten jetzt eigentlich schlafen«, meinte Hertha, »aber ich bin plötzlich nicht mehr sonderlich müde.« Er lächelte sie an und zog eine Braue hoch. »Nein?«
Sie lächelte schüchtern, und dann lachte sie, obwohl sie auch wieder weinte. »Nein«, sagte sie leise und blies die Kerze aus. »Das bin ich nicht.«
Gwilym und Hertha blieben am nächsten Morgen noch ziemlich lange im Bett; sie wollten nicht ohne den Trost des anderen sein. Selbst nachdem sie aufgestanden waren und während sie die Vorbereitungen für Gwilyms Abreise am folgenden Tag trafen, blieben sie beieinander und verbrachten nicht mehr Zeit getrennt als unbedingt notwendig. Sie packten Vorräte für seine Reise - Käse, Rauchfleisch, getrocknete Wurzeln, Obst und Fladenbrot - in einen Rucksack, zusammen mit fünf oder sechs Längen Seil, Feuersteinen, ein paar Wasserschläuchen, Kleidung zum Wechseln und einem festen Schlafsack. Gwilym half Hertha auch, den letzten Rest der Herbsternte aus ihrem kleinen Feld unten im Tal einzubringen. Es war noch ein wenig zu früh für die Wurzeln, aber für Hertha allein war die Arbeit zu schwer. Später an diesem Tag gingen sie zusammen mit Idwal zu Nelya und Quim, und Gwilym genoss eine letzte Mahlzeit im Kreis der Familie.
Kurz vor der Abenddämmerung ging Gwilym zur Versammlungshalle, läutete die Glocke, die draußen angebracht war, und rief damit die Menschen aus der Siedlung zusammen. Niemand, der ihn im Lauf des Tages gesehen hatte, hätte daran zweifeln können, dass er sich darauf vorbereitete, den Zeltkreis zu verlassen, und die Nachrichten hatten sich rasch verbreitet. Aber er zog es immer noch vor, auch in aller Form anzukündigen, dass er gehen würde, und so viele Erklärungen wie möglich zu geben. Er wusste, dass die Siedlung in seiner Abwesenheit ein anderes Oberhaupt brauchen würde und dass dies eine etwas delikate Frage aufwerfen würde, mit der er sorgfältig, aber entschlossen umgehen musste.
Noch während das Glockenläuten von den Berghängen widerhallte, betrat Gwilym die Halle, nahm seinen Platz ganz vorne ein und wartete. Bald schon trafen die Leute ein, die der Dorfmitte am nächsten wohnten. Sie kamen wortlos herein und sahen Gwilym mit unverhohlener Neugier an. Für gewöhnlich gingen Versammlungen Gelächter und Gespräche über die Ereignisse des Tages voran, aber nicht an diesem Abend. Seit Jahren hatte niemand die Siedlung verlassen, bis auf die Boten, die zu den anderen Siedlungen gegangen waren, und in den wärmeren Monaten die Hirten. Kein Steinträger hatte zu Gwilyms Lebzeiten das Dhaalmargebirge verlassen. Also sah er nun zu, wie die Bewohner der Siedlung die Halle betraten, und wunderte sich nicht über ihr Schweigen und ihr Starren.
Hertha, Nelya und Idwal waren unter den Letzten, die hereinkamen, und Gwilym sah, dass Hertha wieder geweint hatte. Das war schon in Ordnung, sagte er sich. Es war verständlich, und es erleichterte ihn zu wissen, dass Idwal und Nelya hier bleiben würden, um sich um sie zu kümmern. »Ich glaube, wir sind jetzt alle da, Gwilym«, erklang eine Stimme vom hinteren Teil der Halle. Urias' Stimme. Gwilym erspähte den jungen Mann, der sich gegen die Wand des Gebäudes lehnte,
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