Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
schon seit Jahrzehnten als Kaufleute ausgaben und Ducleas Meer besegelten. Hier wurden sie auch in der Sprache von Tobyn-Ser ausgebildet und erfuhren mehr über die Zauberer und die Bräuche und Besonderheiten des Volkes, das sie besiegen wollten.
Nach dem Unterricht gingen sie auf den Kampfplatz, wo sie zwei Stunden mit den lang gezogenen Werfern arbeiteten, die sie mit nach Tobyn-Ser nehmen würden, und dann trainierten sie abwechselnd mit den zwanzig mechanischen Falken, die für diese Mission entwickelt worden waren. Nach allem, was Cedrych ihr erzählt hatte, ging Melyor davon aus, dass diese Vögel und Waffen eine gewaltige Verbesserung gegenüber denen darstellten, die von Calbyr und seiner Truppe eingesetzt worden waren. Zum einen hatten die Steine dieser Waffen unterschiedliche Farben - wie die Steine der Zauberer in Tobyn-Ser. In Calbyrs Gruppe hatten noch alle rote Steine gehabt. Und Calbyrs Vögel waren allesamt groß und schwarz gewesen, aber diese Vögel hatten unterschiedliche Größen und Farben. Alle jedoch waren, ungeachtet ihre Größe oder ihres Aussehens, bemerkenswerte Maschinen. Sie reagierten sofort auf Befehle und flogen ebenso präzise und anmutig wie die echten Falken, die Melyor im Vogelgehege des Nal gesehen hatte.
Mittags legten sie eine kurze Pause für die größte Mahlzeit des Tages ein. Danach kehrten sie eine weitere Stunde in den Unterrichtsraum zurück und später drei Stunden aufs Übungsgelände. Nach zwanzig weiteren Runden um das Zentrum erhielten sie ihr Abendessen und wurden für zwei Stunden privater Studien ins Quartier geschickt, bevor die Hauptbeleuchtung im Gebäude abgeschaltet wurde.
Diese Tage als mörderisch zu bezeichnen, wurde ihnen kaum gerecht. Cedrych hatte mit siebzig Männern angefangen. Das war gegen Mitte des Sommers gewesen. Nun war es Winter, und es waren noch sechsundzwanzig Kandidaten übrig. Viele waren einfach aus Erschöpfung ausgeschieden. Andere hatten wegen körperlichen oder geistigen Versagens weggeschickt werden müssen, und ebenso viele hatten aufhören müssen, weil sie es einfach nicht verkraften konnten oder ihnen die Idee nicht gefiel, so gequält zu werden, ohne genau zu wissen, um was es bei der Mission ging, oder weil ihnen eine Uestra im Bett wichtiger war als das Geld. Sechs waren bei der Ausbildung verstümmelt worden. Drei waren umgekommen.
Wie schon die Anzahl der mechanischen Vögel zeigte, wollte Cedrych zwanzig Leute nach Tobyn-Ser schicken: Melyor und die besten neunzehn Männer. Aber Melyor hatte ernste Zweifel, ob im Frühjahr noch so viele übrig sein würden. Calbyr war mit nur fünfzehn losgezogen, und sie war nicht einmal sicher, ob ihre Gruppe auch nur so groß sein würde.
»Die Ausfallrate wird nach den ersten Wochen geringer«, hatte Cedrych ihr vor einiger Zeit versichert. »Wir werden bald die Dummköpfe und die Unfähigen aussortiert haben, und dann können wir aus denen, die geblieben sind, eine gute Mannschaft zusammenstellen. Du wirst schon sehen«, hatte er hinzugefügt, als er ihre Skepsis bemerkte, »wir haben hier ein paar gute Männer.«
Aber die Ausfallrate war beinahe gleich geblieben. In der letzten Zeit hatte sogar Cedrych angefangen, sich Sorgen zu machen. Er schien sogar noch ungeduldiger und gereizter als üblich, und er ließ keine Fehler durchgehen. Sie wollte lieber erst gar nicht wissen, was er tun würde, wenn er sie erwischte, wie sie sich mit Jibb in Verbindung setzte, um ihrem Leibwächter aufzutragen, den Zauberer zu töten. Wieder musste sie lächeln. Tatsächlich konnte Cedrych ihr gar nicht so viel antun: Da die Anzahl der zur Verfügung stehenden Kandidaten stetig sank, konnte er sich kaum leisten, auch noch die Anführerin zu verlieren. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich vom Fenster ab. Es war sinnlos, darüber nachzudenken. Wenn sie wusste, dass es an der Zeit war, mit Jibb zu sprechen, würde sie eine Möglichkeit finden, sich davonzustehlen, ohne dass Cedrych davon erfuhr. Sie war nicht sicher, wie sie es tun würde, aber sie zweifelte nicht daran. Und sie hatte noch Zeit, sich etwas auszudenken. Nicht viel, wenn man von ihrer Vision ausging, aber genug.
Sie zog den Morgenmantel aus und legte sich wieder ins Bett, schaltete das Licht aus und rollte sich unter der Decke zusammen. Das Auftauchen dieses Fremden und seines Falken war eine Komplikation, nichts weiter. Jibb würde es vielleicht seltsam finden, dass sie von dem Zauberer wusste, aber er war loyal und diskret. Er
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