Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
»Nein, selbstverständlich nicht«, sagte er und öffnete die Augen wieder. »Tut mir Leid, Oberlord, ich bin einfach nur durcheinander.«
»Dazu besteht überhaupt kein Grund!«, sagte Cedrych ungeduldig. »Ich biete dir den Vierten Bezirk an. Willst du ihn haben oder nicht?«
Dob verstand immer noch nicht, was geschah, aber das schien im Augenblick unwesentlich zu sein. »Ja, selbstverständlich.«
»Gut«, sagte Cedrych in einem Tonfall, als täte es ihm schon
Leid, Dob auch nur gefragt zu haben. »Du musst deine Männer nun schnell zum Vierten schaffen. Du hast Recht, wenn du davon ausgehst, dass Melyor Jibb als ihren Stellvertreter eingesetzt hat, und er weiß noch nichts von der Veränderung, die ich vornehme.«
»Ich verstehe.«
»Tatsächlich, Dob?«, fragte Cedrych zweifelnd. »Verstehst du wirklich?«
»Ja, Oberlord!«, erwiderte er, und nun war ihm sein Zorn deutlich anzumerken. Sicher, das war Cedrych, mit dem er da sprach, aber er hatte immer noch so etwas wie Stolz. »Du sagst, dass Jibb meine Ankunft im Viertel als Überfall betrachten wird. Also werde ich entweder genug Feuerkraft aufbringen müssen, um ihn zu unterwerfen, oder ihn gleich als Erstes umbringen und in der darauf folgenden Verwirrung die Macht ergreifen.«
Cedrych lehnte sich zurück und lächelte. »Sehr gut, Dob. Genau das hatte ich gemeint.«
»Das Problem ist, dass ich im Moment nicht viele Männer habe. Dieser Kampf mit Bowen hat mich einiges gekostet.« »Ja, Dob, ich weiß«, erwiderte Cedrych. Er griff nach ein paar Blättern Papier auf seinem Schreibtisch, als bereitete er sich schon auf seine nächsten Sprechschirm-Gespräche vor. »Ich schicke dir Männer, Waffen und Geld; mehr als genug von allem, damit du dich angemessen um die Sache kümmern kannst. War es das, was du hören wolltest?« »Ja, Oberlord!«, sagte Dob. »Danke, Oberlord.«
»Ich erwarte, dass du dich beeilst, Dob«, sagte Cedrych, der nicht einmal mehr in den Schirm schaute. »Am besten gleich morgen. Keinesfalls später als übermorgen. Verstanden?« »Ja, Oberlord.« Dob sah, wie Cedrych die Hand nach dem Knopf ausstreckte, der ihre Verbindung unterbrechen würde. »Oberlord?«, sagte er, und Cedrych hielt in der Bewegung inne.
»Was ist, Dob?«, fragte Cedrych verärgert.
Der Gesetzesbrecher zögerte.
»Nun?«
Dob schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln. »Schon gut. Danke, Oberlord.«
Cedrych runzelte die Stirn und nickte. Einen Augenblick später verschwand sein narbengezeichnetes Gesicht von Dobs Schirm.
Der Gesetzesbrecher sackte gegen die Stuhllehne und holte erschaudernd Luft. Er hatte nie zuvor mit Cedrych gesprochen, aber andere hatten ihm schon berichtet, wie anstrengend es sein konnte. Nun verstand er, was sie gemeint hatten. Er war so erschöpft, als hätte er gerade einen langen Messerkampf hinter sich, und er blieb lange Zeit mit geschlossenen Augen sitzen und versuchte sich zu beruhigen. Schließlich öffnete er die Augen wieder. Es war ziemlich dunkel in der Wohnung; es gab nur das schwache Licht, das von Dobs Schirm ausging. Erst jetzt erinnerte sich Dob, dass er den Schirm nicht ausgeschaltet hatte. Aber er regte sich trotzdem nicht. Er starrte einfach nur den Schirm an und versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Das Mädchen in seinem Bett - er hatte ihren Namen vergessen - hatte zweimal nach ihm gerufen, kurz nachdem er das Gespräch mit dem Oberlord beendet hatte, aber er hatte nicht reagiert. Wahrscheinlich war sie inzwischen eingeschlafen. Er hatte jedes Interesse an ihr verloren, sobald er Cedrychs Gesicht gesehen hatte.
Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass Cedrych ihm Melyors Bezirk anbot, da sie diejenige gewesen war, die Savil getötet hatte. Dob gab sich immer noch die Schuld an Savils Tod. Es war Melyor gewesen, die an jenem Abend in der Bar gewesen war, da war er sicher. Sie hatte sich als Uestra verkleidet, Haarfarbe und Augenfarbe verändert, und sie hatte sich Kellyn genannt. Aber nun wusste er, dass es Melyor gewesen war. Dob und die anderen hatten gesehen, wie Kellyn und Savil zusammen weggegangen waren, und das war das letzte Mal gewesen, dass jemand Savil lebend gesehen hatte. Es war mittlerweile allgemein bekannt, dass Melyor ihn getötet hatte. Aber Dob war schon vor langer Zeit zu der Einsicht gekommen, dass Kellyn Melyor gewesen sein musste.
»Ich hätte sie umbringen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte«, murmelte Dob leise, wie schon so oft in den vergangenen
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