Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
bedaure, keine weiteren Informationen mehr gesammelt zu haben, nachdem Calbyr abgereist war, aber damals hielt ich es für eine notwendige Vorsichtsmaßnahme. Und um ehrlich zu sein, war ich überzeugt, dass Calbyr Erfolg haben würde. Dennoch, bei allem, was ich in den vergangenen Jahren über Tobyn-Ser gelesen und gehört habe, klingt ein Thema immer wieder durch: Es ist ein Land, in dem sich die Dinge nur langsam verändern. Die Menschen und Institutionen unseres östlichen Nachbarlandes, eingeschlossen der Orden der Magier und Meister, sind an unzählige Traditionen gebunden und lassen sich daher nur widerstrebend auf Neues ein. Es ist nicht klar, ob sich das zu unserem Vorteil oder Nachteil auswirken wird, wenn es darum geht, das Vertrauen der Bevölkerung zum Orden zu untergraben, aber es lindert ein wenig meine Sorgen, was das Alter meiner Informationen angeht.
Aus dem Tagebuch von Cedrych i Vran, Oberlord des Ersten Herrschaftsbereichs von Bragor-Nal, Tag 2, Woche 3, im Frühjahr des Jahres 3060.
Jaryd und Alayna hatten Tobyn-Ser noch nie so schnell durchquert. Sie brauchten kaum sechs Wochen von ihrem Zuhause an der Küste der Südbucht zum Ostrand der Parnesheimberge. Noch ein Tag, dann würden sie in Amarid sein, und als sie nun zusammen an dem kleinen Feuer saßen und zu den Sternen emporschauten, fürchtete Jaryd, was sie dort erwarten würde. Er war immer noch überzeugt, dass Sonels unerwarteter Ruf zur Versammlung damit zu tun hatte, dass jemand erfahren hatte, was Orris getan hatte. Er hatte sogar eine Ahnung, wer es gewesen sein könnte, obwohl das kaum zählte. Bald schon würden alle im Orden es erfahren, und die Reaktion würde leidenschaftlich, vielleicht sogar gewalttätig ausfallen. Er erinnerte sich noch lebhaft daran, wie die Magier, mit denen er im geistigen Netz verbunden war, reagiert hatten, als er ihnen endlich erklärt hatte, wieso Orris nicht mehr an dem schützenden Netz mitarbeitete, das sie über die Westküste des Landes gespannt hatten. Alayna und Baden hatten selbstverständlich schon Bescheid gewusst, und Trahn hatte mit seiner üblichen Gelassenheit reagiert. Aber die anderen waren erheblich weniger ruhig gewesen. Mered hatte sich schrecklich aufgeregt und beinahe seine Mitarbeit am Netz aufgekündigt, als er erfuhr, dass Jaryd, Alayna und Baden es von Anfang an gewusst und nicht versucht hatten, Orris aufzuhalten und ihn zu zwingen, Baram ins Gefängnis zurückzubringen.
Sich dem Orden mit diesem Netz zu widersetzen ist eine Sache!, hatte er zu ihnen allen mit so viel Zorn gesendet, dass er kaum zu verstehen gewesen war. Aber Baram mitzunehmen ist etwas ganz anderes! Das kommt einem Verrat gefährlich nahe!
Ich bin derselben Ansicht, hatte Ursel eingeworfen und sie damit alle überrascht. Ich bin oft ähnlicher Ansicht wie Orris, und ich betrachte ihn als guten Freund. Aber was er diesmal getan hat, ist wirklich nicht zu entschuldigen.
Selbst Radomil war wütend gewesen - etwas, was Jaryd noch nie erlebt hatte, und immerhin kannte er den kahlköpfigen Magier, der Jaryds Heimatdorf schon so lange diente, seit seiner Kindheit. Ich weiß wirklich nicht, was Orris sich dabei gedacht hat! Was er getan hat, ist einfach falsch! Und um ehrlich zu sein, Jaryd und Baden, ich denke, ihr beide wart ebenfalls im Unrecht, wenn ihr nicht versucht habt, ihn aufzuhalten.
Jaryd und sein Onkel hatten den größten Teil dieses Abends damit zugebracht, sich selbst und Orris zu verteidigen, und obwohl sie die anderen nicht überzeugen konnten, gelang es ihnen zumindest, das Netz zu retten. Alayna schwieg während der gesamten Diskussion, und erst später, als sie und Jaryd zusammen im Bett lagen, vertraute sie ihm an, dass auch sie ablehnte, was ihr Freund getan hatte. »Ich hoffe, es funktioniert«, hatte sie hastig hinzugefügt, »und so, wie ich Orris kenne, würde ich sagen, ihr, du und Baden, hättet ohnehin nichts tun können, um ihn aufzuhalten, aber ich denke, er ist wirklich zu weit gegangen, als er Baram mitgenommen hat.«
Jaryd hatte geschwiegen. Alaynas Bemerkungen und die von Mered, Ursel und Radomil, spiegelten seine eigenen geheimen Zweifel zu sehr, als dass er ihr hätte widersprechen können. Als er nun mehrere Monate später zusammen mit Alayna in den Bergen oberhalb von Amarid saß und zu den Sternen aufblickte, fürchtete er sich vor der kommenden Versammlung. Wenn schon Orris' engste Freunde so empfanden, wie würde der Rest der Magier und Meister reagieren? Orris
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