Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
stellen, und alles ignoriert hatte, was sie über ihn wusste.
»Jetzt bist du bekümmert«, sagte Linnea besorgt. »Es tut mir Leid, meine Liebe.«
»Schon gut«, erwiderte Cailin leise, den Blick immer noch auf den blitzenden goldenen Kristall gerichtet. Mit einer gewissen Anstrengung zwang sie sich, dem Blick der Ältesten zu begegnen. »Erzähl mir von meinem Ceryll.«
Linnea holte tief Luft. »Erinnerst du dich an Sonel, die Eulenmeisterin des Ordens war, als du dich an deinen Falken gebunden hast?«
»Ja.«
»Trotz der Feindseligkeit zwischen dem Tempel und dem Orden habe ich oft mit ihr über deine Fortschritte bei der Magie gesprochen. Sie hat mir klar gemacht, dass es gefährlich wäre, dir einen Ceryll zu geben, ehe du reifer wärst und gelernt hättest, deine Macht zu beherrschen.« »Und du hast ihr geglaubt?«, fragte Cailin in einem verzweifelten, kraftlosen Versuch, zumindest diese eine gute Erinnerung an Erland zu retten. »Wäre es nicht möglich, dass sie versucht hat zu verhindern, dass meine Macht wächst?«
Linnea schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich habe keine böse Absicht gespürt. Ich denke, sie war tatsächlich der Ansicht, dies sei das Beste für dich und für alle, die dich gern haben.«
»Hast du versucht, Erland davon abzuhalten, mir den Kristall zu geben?«
»Nein«, sagte Linnea mit einem dünnen Lächeln. »Ich wusste nicht, dass er es vorhatte, bis es zu spät war.«
»Und du glaubst, er hat ihn mir gegeben, um mich in die Liga zu locken.« Das war eine Feststellung. Cailin verstand, was Linnea meinte. Nachdem sie genügend Grund hatte, an dem Vertrauen zu zweifeln, das sie dem weißhaarigen Eulenmeister zunächst entgegengebracht hatte, hatte sie in den vergangenen Jahren alle Freundlichkeit, die er ihr seit der ersten Begegnung erwiesen hatte, noch einmal genau untersucht. In jedem einzelnen Fall hatte sie begriffen, dass es sich um einen Versuch gehandelt hatte, sie zu beeinflussen und zu täuschen. Warum sollte das mit dem Ceryll anders gewesen sein?
»Ja«, sagte die Älteste. »Er hat dich gebraucht. Deine Mitgliedschaft machte die Liga sofort zu einer legitimen Alternative zum Orden. Ohne das hätte er Jahre gebraucht, um so viele Dörfer und Städte im Land hinter sich zu bringen. Er hat mir sogar gesagt, dass er den Ceryll genau aus diesem Grund gekauft hat.«
Cailin spürte, wie sie blass wurde. »Das hat er dir gesagt?«, flüsterte sie.
»Ja. Warum ist das so wichtig?«
Die Magierin stieß ein freudloses Lachen aus. »Mir gegenüber hat er es so dargestellt, als hätte der Stein seit Jahren nutzlos und verstaubt bei ihm zu Hause herumgelegen.« Linnea setzte sich wieder neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. »Es tut mir so Leid, mein Liebes.«
»Schon gut«, erwiderte Cailin. »Irgendwann musste ich es ja erfahren.« Sie sah die Älteste an und zwang sich zu einem Lächeln. »Wie ich schon sagte, ich bin kein Kind mehr. Und tatsächlich erklärt es eine ganze Menge.«
»Wie meinst du das?«
Wieder strich sie sich das Haar aus dem Gesicht. »Bei den letzten beiden Konklaven habe ich mich gegen einige von Erlands Aktionen ausgesprochen, besonders dagegen, dass er die Angriffe gegen diesen Ordensmagier befürwortet.« »Sprichst du von dem Mann, den er für einen Verräter hält?«
»Ja. Diese Angriffe sind ein direkter Verstoß gegen Amarids drittes Gesetz, ganz gleich, wie weit unsere Zusatzregeln es rechtfertigen.« Die Zusatzregeln der Liga, die beim ersten Konklave verabschiedet worden waren, änderten Amarids drittes Gesetz ausdrücklich ab, das verbot, dass Magier ihre Magie gegeneinander benutzten. Solche Angriffe, erklärte die Änderung, waren gerechtfertigt, falls sie erfolgten, um das Land zu schützen. In den vergangenen Jahren hatten Erland und seine Anhänger diese Regel benutzt, um ihre Angriffe auf den Ordensmagier zu rechtfertigen. »Wie kann die Liga hoffen, dass die Menschen Vertrauen zu uns haben«, fragte Cailin, »wenn wir uns selbst nicht an die ältesten Gesetze halten können?«
Linnea grinste kopfschüttelnd. »Du begreifst also die Ironie?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Cailin und musste einen Augenblick lang selbst lächeln. Als kleines Mädchen, das sich frisch an seinen Falken gebunden hatte und immer noch von der Erinnerung an den Tod ihrer Eltern heimgesucht wurde, hatte sie den Orden so sehr abgelehnt, dass sie sich geweigert hatte zu schwören, dass sie die Gesetze des Ersten Magiers einhalten
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