Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
mitteilst. Die anderen Magier in der Liga wären vielleicht verstört über die Richtung, die deine Gedanken einschlagen.«
Cailin nickte und schluckte. Die Älteste hatte selbstverständlich Recht. Nicht, dass es zählte: Der Gedanke war ohnehin vollkommen absurd. Linnea, ein Eulenweiser und sie selbst sollten sich insgeheim treffen, um das Land zu retten? So etwas würde nie geschehen. Und dennoch konnte Cailin diesen Gedanken aus irgendeinem Grund nicht abtun, und sie wusste, dass es Linnea ebenso ging. Sie blieben eine Weile schweigend sitzen. Linnea starrte ihre Hände an und Cailin schaute wieder zu ihrem Ceryll. Schließlich fragte die Älteste sie nach einem Hüter in Tobyns Wald, einem Freund von Linnea, den Cailin hin und wieder traf, wenn sie dort unterwegs war. Den Rest des Nachmittags beschäftigten sie sich mit anderen Dingen und vermieden es, politische Fragen anzusprechen.
Aber später an diesem Tag, als Linnea Cailin zum Tor des Tempels brachte, kam sie noch einmal auf das Thema zurück.
»Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt, bis Arick und Duclea mich zu sich rufen«, sagte sie und nahm Cailins Hand.
Cailin spürte, wie ihr Blut zu Eis erstarrte. »Bist du -« Die Älteste hielt sie mit erhobenem Finger und einem raschen Kopfschütteln auf. Eine einzelne Träne lief ihr über die Wange. »Lass mich weitersprechen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich noch habe, und selbstverständlich weiß auch niemand, wann du dich wieder binden wirst, sei es nun an einen Falken oder an eine Eule. Aber so absurd es klingt, ich denke, wir beide haben eine gute Chance, die Konflikte in Tobyn-Ser zu einem Ende zu bringen. Noch bevor du angefangen hast, darüber zu sprechen, dass wir uns mit dem Eulenweisen zusammensetzen sollten, hatte ich so ein Gefühl, was das angeht.«
»Älteste«, sagte Cailin, »willst du etwa behaupten, dass du den Blick hast?« Sie versuchte sich unbeschwert zu geben, aber Linneas Worte wiederholten sich immer wieder in ihrem Kopf. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt, bis Arick und Duclea mich zu sich rufen ...
»Ich, den Blick?«, antwortete Linnea und errötete bis zum Haaransatz. »Mach dich nicht lächerlich! Ich denke einfach nur, dass die Götter eine wichtige Bindung für dich vorgesehen haben. Und ich denke, es wird bald geschehen. Vielleicht bin ich als eine, die ihr Leben den Göttern geweiht hat, im Stande, solche Dinge zu erkennen.« »Und was wird deine Rolle in dieser neuen Welt sein, die wir schaffen werden?«, fragte die Magierin. »Hast du diesen Teil der Zukunft ebenfalls gesehen?« »Im Gegenteil«, sagte Linnea kopfschüttelnd. »Ich habe die Vergangenheit gesehen, und das hat mir nicht gefallen. Du hast Recht: Es wird Zeit, dass ich mir wieder mehr Einfluss verschaffe. Ich kenne immer noch einige Hüter, die ebenfalls nicht glücklich über das sind, was Brevyl im Namen des Tempels veranstaltet hat. Es wird Zeit, dass wir uns Gehör verschaffen.«
Cailin umarmte die ältere Frau. Der Gedanke an ein Leben ohne die Älteste erschreckte sie. Sie wusste, was es bedeutete, Menschen zu verlieren, die ihr nahe standen, und sie war keinesfalls bereit, das nun auch noch mit Linnea zu erleben.
»Hab keine Angst, Kind«, flüsterte Linnea. »Mir bleibt noch einige Zeit.«
»Bist du krank?«, fragte Cailin und spürte, dass sie zu weinen begann. »Kann ich dich heilen?« Sie trat zurück und sah der Ältesten in die Augen. »Du musst nur etwas sagen.« Linnea lächelte. »Das weiß ich. Wenn ich glaubte, dass es in deiner Macht oder in der anderer Magier läge, hätte ich längst jemanden gebeten, etwas zu tun. Aber ich denke, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als zu warten und die Tage, die mir noch beschieden sind, gut zu nutzen.« Sie wischte Cailin die Tränen weg und küsste die junge Frau auf die Stirn. »Bist du sicher, dass du nicht über Nacht bleiben willst? Wir haben hier genug Platz.«
Das Angebot der Ältesten war verlockend, besonders nun, da Cailin wusste, dass ihre Zeit mit Linnea begrenzt war. Aber seit sie vor drei Jahren den Tempel verlassen hatte, um als Magierin durchs Land zu wandern, hatte sie nur an den kältesten Tagen in Ortschaften Schutz gesucht. Ein Magier gehörte in den Wald und in die Berge und auf die Ebenen, davon war sie überzeugt. Dem Land zu dienen bedeutete, mit dem Land zu leben. Und obwohl ihr Herz schwer war, weil sie nun von Linneas Krankheit wusste, und obwohl es immer noch regnete, konnte sie nicht guten
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