Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
Silhouette gegen das Silbergrau eines weiteren Regennachmittags ab. Aber nun ging sie zu Cailin und legte der jungen Frau die Hand auf den Kopf.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Kind«, sagte sie leise. »Nicht bei mir. Es tut mir nur Leid, dass ich dir nicht mehr helfen kann. Ich kann dir nur sagen, dass Ungebundensein zum Leben eines Magiers gehört, aber das wird dir nicht viel helfen.« Sie schob einen kleinen Holzstuhl direkt neben den von Cailin und ließ sich darauf nieder. »Gibt es jemanden in der Liga, mit dem du sprechen könntest?«, fragte sie. »Jemanden, der dies schon selbst durchgemacht hat?«
Cailin zuckte die Achseln. »Ich nehme an, es gibt ein paar, an die ich mich wenden könnte«, antwortete sie, allerdings ohne große Begeisterung. »Aber die meisten haben Angst vor mir.«
»Angst vor dir?«, wiederholte Linnea mit verblüfftem Lachen. »Dann kennen sie dich nicht sehr gut.«
Cailin sah die Frau an und grinste. Linnea war in den vergangenen Jahren beträchtlich gealtert, besonders seit sie vor zwei Jahren das Amt der Ältesten niedergelegt hatte. Ihr Haar war nun weiß, und ihre einstmals runden Wangen sahen eingefallen aus und waren von tiefen Falten durchzogen. Und obwohl sie immer noch eine große, kräftige Frau war, kam sie Cailin nun irgendwie zerbrechlich vor, als wäre ihr silbergraues Gewand über nicht viel mehr als Haut und Knochen drapiert. Seit einiger Zeit fürchtete Cailin, dass Linnea krank sein könnte. Dennoch, so sehr sich der Rest von ihr auch verändert hatte, die blauen Augen der Frau waren so hell und scharf wie immer. Sie glitzerten nun im Licht, das durchs Fenster fiel, und in dem goldenen Schimmer von Cailins Ceryll.
»Du magst mich vielleicht nicht Furcht erregend finden, Älteste«, sagte Cailin und benutzte Linneas alten Titel ebenso sehr aus Gewohnheit wie aus Hochachtung. »Aber für die Magier der Liga, besonders die jüngeren, bin ich ...« Sie zögerte und spürte, dass sie errötete.
»Eine Legende?«, vollendete Linnea den Gedanken. Cailin nickte verlegen. »Ja. Nicht dass ich so etwas je gewollt hätte, aber genau das ist aus mir geworden.« Sie strich sich das lange braune Haar aus dem Gesicht und zuckte wieder die Achseln. »Aber um deine Frage zu beantworten«, sagte sie zur Ältesten, »ich bin sicher, dass es Magier in der Liga gibt, die mir helfen wollen, aber darunter ist niemand, den ich gerne fragen möchte.«
»Ich würde annehmen«, sagte Linnea, »dass deine Verbindung zu den Tempeln deine Position in der Liga nicht eben besser macht.«
Cailin lachte. Die Liga und die Tempel waren zwar für kurze Zeit, nachdem der Erste Meister Erland die Liga vor sieben Jahren gegründet hatte, verbündet gewesen, aber die Spannungen, die sich in den letzten Jahren zwischen ihnen entwickelt hatten, waren beinahe so intensiv wie die zwischen den Kindern der Götter und dem Orden. »Tatsächlich macht mir das nicht so viel Ärger, wie man erwarten würde«, sagte sie. »Es hat auch gewisse Vorteile, eine Legende zu sein.«
»Das freut mich zu hören«, erwiderte Linnea lächelnd. »Es wäre mir unangenehm zu wissen, dass unsere Freundschaft deinen Aufstieg zur Ersten Meisterin verhindern könnte, wenn du dich erst an deine Eule gebunden hast.«
»Seit wann hast du denn solchen Ehrgeiz in Bezug auf mich?«, fragte Cailin und ignorierte das Ziehen in ihrem Herzen. Es tat sogar weh, sich nur vorzustellen, dass sie jemals an einen anderen Vogel als ihren geliebten Marcran gebunden sein könnte.
Die Älteste lächelte rätselhaft. »Und was macht Erland? Ist er dir eine große Hilfe?«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Du hast ihn nie leiden können, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, erklärte Linnea und riss in gespielter Unschuld die Augen auf. »Ich habe nur eine einfache Frage gestellt.«
»Ach ja.«
Linnea lachte leise, stand auf und ging wieder zum Fenster. »Es ist unwichtig, Kind«, sagte sie plötzlich bedrückt. »Ich fragte mich nur, ob wir dir helfen können.«
Cailin war ebenfalls aufgestanden. »Sieh mich an, Linnea.« Als sie ihren Namen hörte, drehte die Älteste sich um. »Sieh mich an«, wiederholte Cailin.
Sie schaute die ältere Frau an, sah, wie der Ausdruck in Linneas hellblauen Augen sanfter wurde.
»Ich bin kein Kind mehr. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich je eines war. Ganz bestimmt war ich nach Kaera keines mehr. Aber inzwischen bin ich wirklich erwachsen. Ich bin achtzehn Jahre alt.
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