Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
flüsterte sie. »Ich weiß, dass du Recht hast. Aber was kann ich tun?«
»Ich weiß es nicht, Älteste«, sagte Cailin mit harter Stimme. »Aber tu etwas. Irgendetwas. Du musst es zumindest versuchen.«
Sie blieben noch eine Weile sitzen, schwiegen und sahen einander nicht an. Cailin hatte noch nie so mit Linnea gesprochen, und obwohl sie der Ansicht war, dass ihre Worte gerechtfertigt waren, hatte sie Angst vor der Reaktion der Älteren. Am Ende überraschte Linnea sie jedoch. »Weißt du«, erklärte die ältere Frau schließlich und lachte nervös, »es würde vielleicht helfen, wenn ich dich mit zur nächsten Hüterversammlung nehmen könnte.«
Erleichtert gestattete sich Cailin ein Lächeln. »Nur, wenn du mit zum nächsten Konklave kommst«, erwiderte sie lachend.
Linnea nickte zu Cailins Ceryll hin. »Vielleicht sollten wir lieber beide nach Amarid gehen, zu der Versammlung, die Radomil einberufen hat.«
Cailin schaute erneut ihren Stein an. Er blinkte nun schon seit über vierzehn Tagen, hatte ein paar Tage vor Marcrans Tod damit begonnen. Nachdem sie ihren Vogel verloren hatte, hatte Cailin wenig darüber nachgedacht, wieso Radomil den Rufstein benutzte. Aber nun, nach dieser Bemerkung der Ältesten, fing sie an, sich genau das zu fragen.
»Weißt du, was passiert ist?«, fragte Linnea, als könnte sie Cailins Gedanken lesen.
»Nein.« Sie schaute von dem Stein zu der älteren Frau. »Ich war zu sehr mit der Trauer um Marcran beschäftigt.« Sie hielt einen Augenblick inne. »Vielleicht ist Radomil etwas zugestoßen?«
Die Älteste schüttelte den Kopf. »Nein. Das hier ist ein allgemeiner Ruf. Wenn sie nur die Eulenmeister brauchten, um einen neuen Weisen zu wählen, wäre die Pause zwischen dem Blinken viel länger.«
Cailin kniff die Augen zusammen und starrte die Älteste an. »Wieso weißt du so viel über den Orden?«
Linnea lächelte boshaft. »Es ist immer klug, seine Gegner zu kennen.«
Cailin dachte eine Zeit lang darüber nach. Dann zeigte sie auf ihren Stein. »Das bedeutet also, dass der gesamte Orden nach Amarid gerufen wird?«
»Ja.«
»Wie häufig nutzen sie den Rufstein auf diese Weise?« »Sehr selten«, sagte Linnea. Und dann schien sie Cailins nächste Frage vorwegzunehmen und fügte hinzu: »Selbst vor der Entstehung der Liga geschah es sehr selten.«
Cailin spürte, wie eine Welle unangenehmer Vorahnungen über sie hinwegschwappte wie das kalte Wasser von Aricks Meer im Winter. »Haben sie ihn benutzt, als die Fremden kamen?«, fragte sie kaum lauter als im Flüsterton. Linnea sah sie gequält an. »Ganz ehrlich, Kind, das weiß ich nicht. Aber ich denke nicht, dass wir noch etwas von den Fremden zu befürchten haben. Zumindest nicht in der Weise wie damals, als du noch klein warst.«
Die junge Frau wusste, dass die Älteste die Wahrheit sagte, und versuchte, sich davon trösten zu lassen. Aber die Angst drang ihr ins Herz, als hätte sie Krallen. Ihr Ceryll blinkte. Irgendetwas musste geschehen sein, selbst wenn es nichts mit den Fremden zu tun hatte.
»Hast du je daran gedacht«, fragte sie und warf einen sehnsuchtsvollen Blick zu dem flackernden Ceryll, »dass wir all diese Probleme vielleicht lösen könnten, wenn du und ich uns mit dem Anführer des Ordens zusammensetzen würden?«
»Sehr oft«, antwortete Linnea so ernst, dass Cailin von ihrem Stein aufblickte.
Die junge Frau spürte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte. »Wie können wir das bewerkstelligen?«
Linnea zuckte die Achseln, aber sie wandte den Blick nicht von Cailin ab. »Ich bin nicht sicher. So vieles müsste geschehen. Ich müsste in einer Position sein, wo ich mich auf die Unterstützung zumindest einiger jüngerer Hüter berufen kann.«
»Und ich müsste mich wieder gebunden haben, am besten an eine Eule.«
»Und wir brauchen auch einen anderen Weisen«, fügte die Älteste hinzu. »Nach allem, was ich von Radomil gehört habe, ist er zweifellos ein anständiger Mensch. Aber er ist sehr vorsichtig.«
»Worüber reden wir hier eigentlich?«, fragte Cailin und fühlte sich seltsam schwindlig, als sie vorbeugte. Linnea grinste. »Sag du es mir. Es war deine Idee.«
»Es war keine Idee, es war nur eine Phantasie, ein verrückter Gedanke.«
»Und warum strahlst du dann so?«, fragte die Älteste nachdrücklich. »Und wieso klopft mein Herz so laut?«
»Ich weiß es nicht.«
»Nun, ich würde vorschlagen«, fuhr Linnea warnend fort, »dass du solch verrückte Gedanken niemandem außer mir
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