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Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise

Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise

Titel: Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David B. Coe
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sie schon beinahe überzeugt war, dass Wiercia ohnehin nicht mit ihr sprechen würde, trat die designierte Herrscherin vor den Sprechschirm und setzte sich hin.
    Melyor war Wiercia nur einmal zuvor begegnet, vor sieben Jahren, als man sie zusammen mit dem Steinträger Gwilym und Orris in Oerella-Nal gefangen genommen und in ein Gefängnis geworfen hatte. Damals hatten sie unbedingt mit Shivohn sprechen und sie um ihre Hilfe gegen Cedrych bitten wollen, den Oberlord aus Bragor-Nal, der für die Angriffe auf Orris' Land verantwortlich gewesen war. Melyor hatte den Gefängniswärtern erzählt, sie seien als Shivohns Gäste in Oerella-Nal. Selbstverständlich war das eine Lüge gewesen, aber die Dreistigkeit dieser Behauptung hatte Shivohn bewogen, die damalige Legatin Wiercia ins Gefängnis zu schicken, um die drei zu ihr zu bringen.
    Wiercia hatte sich in den vergangenen Jahren nicht sonderlich verändert. Sie hatte vielleicht ein paar mehr Falten um ihre blauen Augen und den üppigen Mund und ein paar graue Strähnen in ihrem goldblonden Haar, aber ansonsten war ihr Gesicht so, wie Melyor es in Erinnerung hatte: kantig und auf eine strenge Weise attraktiv. Melyor bemerkte das kalte, dünne Lächeln und die Tatsache, dass Wiercia, obwohl sie ihr Amt noch nicht offiziell angetreten hatte, bereits das scharlachrote Gewand der Herrscherinnen von Oerella-Nal trug.
    »Hallo, Wiercia«, sagte Melyor übertrieben freundlich. »Wie nett von dir, dass du Zeit für mich hast.«
    »Es ist dir endlich gelungen, meine Aufmerksamkeit zu erringen, Melyor«, erwiderte die Frau kalt. »Aber verschwende meine Zeit nicht mit Sarkasmus. Was willst du von mir?« »Wie ich schon deiner Legatin sagte, möchte ich dir nur im Namen meines Volkes und meiner Freunde in Tobyn-Ser gratulieren.«
    »Ja, das hat sie mir ausgerichtet. Und die Erwähnung deiner Zaubererfreunde hat genau das erreicht, was du erreichen wolltest: Ich bin hier. Und jetzt gebe ich dir eine letzte Chance. Was willst du?«
    »Wie laufen die Ermittlungen bezüglich des Mordes an Shivohn?«, fragte Melyor.
    Wiercias Augen blitzten gefährlich. »Das ist eine Unverschämtheit!«, zischte sie. »Ich werde nicht hier sitzen bleiben und mich ausgerechnet von dir verspotten lassen!« »Die Frage war ernst gemeint«, sagte Melyor, die sich anstrengen musste, nicht selbst die Nerven zu verlieren.
    »Deine Scharade hat lang genug gedauert!« Wiercia beugte sich vor, so dass ihr Gesicht dicht vor dem Schirm war. »Shivohns einziger Fehler bestand in ihrem überwältigenden Bedürfnis, in jedem Menschen etwas Gutes erkennen zu wollen. Du hast sie vielleicht täuschen können, so dass sie glaubte, du hättest dich verändert und Bragor-Nal zu einem friedlichen, anständigen Ort gemacht. Aber ich weiß es besser. Der Zünder der Bombe, die die Herrscherin getötet hat, beweist nur, was ich schon die ganze Zeit befürchtete. Du bist nur eine Verbrecherin, die über eine Räuberhöhle herrscht.«
    »Sei vorsichtig, Wiercia«, sagte Melyor. »Du solltest mich lieber nicht wütend machen. Wenn ich deine Aufnahme in den Herrscherrat ablehne, werden deine Legatinnen eine andere wählen müssen. Das willst du doch sicherlich nicht, oder?«
    Die Frau wurde bleich. »Das würdest du nicht wagen! Der Aufnahmeantrag ist nur eine Formalität und nichts weiter! Du kannst mir die Aufnahme in den Rat nicht verweigern!« Melyor lächelte eisig. »Ach nein? Wenn ich sogar Shivohn getötet habe, warum sollte ich dann vor so etwas zurückschrecken?«
    Wiercia starrte in den Schirm, und man konnte ihr ansehen, dass sie die Zähne zusammenbiss. »Was willst du?«, fragte sie dann ein zweites Mal, wenn auch diesmal mit einem Hauch von Resignation.
    »Ich will, dass du mir zuhörst. Ohne Vorurteile. Schieb deinen Verdacht einen Augenblick lang beiseite und hör mir zu.« Nun lächelte sie wieder. »Das ist doch ein geringer Preis für die Zulassung zum Rat, meinst du nicht auch?« Die Frau schwieg, aber schließlich nickte sie.
    Melyor holte tief Luft. Sie wusste, das hier war ihre einzige Chance. Sie musste ihre Worte sorgfältig wählen. »Ich erwarte nicht von dir, dass du mir alles sofort glaubst, aber ich habe Shivohn als Freundin betrachtet.«
    Wiercia stieß ein schrilles ungläubiges Lachen aus. »Du wolltest mir zuhören!«
    »Ich hatte mehr als Lügen erwartet!«
    Das wäre beinahe das Ende gewesen. Melyor hatte bereits die Hand nach dem Sprechschirm ausgestreckt, um ihn auszuschalten, als eine Stimme

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