Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
hätte, Attentäter auszuschicken, um Shivohn und Melyor zu töten, warum sollte ich dann eine Kehrtwendung machen und einer Person, die ich umbringen wollte, meine Pläne verraten? Wie dumm müsste ich sein, um so etwas zu tun?«
»Aber sie sagte -«
»Ich versichere dir, Wiercia, ganz gleich, was Melyor dir gesagt hat, ich habe nie behauptet, für diese Anschläge verantwortlich zu sein.«
Wiercia starrte ihn eine Weile schweigend an. Sie war nicht sicher, wem sie glauben sollte. »Gibst du zu, dich mit ihr in Verbindung gesetzt zu haben?«
Er nickte.
»Sag mir, warum.«
Er zuckte die Achseln. »Aus demselben Grund, weshalb ich mich mit dir in Verbindung gesetzt habe: um noch einmal über die heutige Ratssitzung zu sprechen.« Der Herrscher lächelte betrübt. »Es war nicht gerade die beste. Ich fürchte, ihr beide steht kurz vor einem bewaffneten Konflikt, und ich möchte alles tun, was ich kann, um das zu verhindern.« »Wie nobel von dir«, sagte sie.
»Wohl kaum«, erwiderte er eisig. »Ich denke nur an meine Leute und an mich selbst. Ein so kleines Nal wie das meine könnte bei einem solchen Konflikt leicht zerdrückt werden, selbst wenn wir daran keinen direkten Anteil haben.«
Er hatte selbstverständlich Recht. An seiner Stelle hätte sie sich ebenfalls Sorgen gemacht. »Dann sollte dir eine Allianz mit Bragor-Nal recht wünschenswert erscheinen«, sagte sie. »Und es verwundert mich noch mehr, wieso wir auch nur miteinander sprechen.«
»Um ehrlich zu sein«, sagte Marar, »würde Bragor-Nal von einer anderen Person beherrscht, dann würden wir jetzt tatsächlich nicht miteinander sprechen. Ich hätte dem Herrscher von Bragor-Nal bereits meine Hilfe zugesagt und wir wären mit der Vorbereitung für den Krieg beschäftigt.« »Weiter«, sagte Wiercia nach kurzem Schweigen.
»Aber Melyor macht mir Angst. Ich schäme mich nicht, es zuzugeben.« Er beugte sich vor, brachte sein hageres Gesicht dicht an den Sprechschirm. »Lassen wir einmal einen Augenblick beiseite, dass sie einmal eine Gesetzesbrecherin war und dass sie mehr Menschen getötet hat, als wir uns vorstellen können. Darüber hinaus ist sie aber auch noch Gildriitin. Ich traue ihr nicht über den Weg, nicht als Feindin und ganz bestimmt nicht als Verbündete.«
»Willst du damit sagen, dass du mir traust?«
»Ich will damit sagen, dass ich es versuchen würde. Immer vorausgesetzt, dass du es ebenfalls versuchst.«
Wiercia blieb reglos sitzen und starrte weiterhin Marars Gesicht an. Sie traute ihm nicht. Sie war nicht sicher, ob sie das je tun würde. Aber sie war auch nicht sicher, ob es so klug gewesen war, Melyor zu vertrauen. Vieles von dem, was die Herrscherin von Bragor-Nal gesagt hatte, war ihr zunächst vernünftig vorgekommen. Vielleicht ein wenig zu vernünftig. Melyor hatte offenbar auf alles eine Antwort. Es kam Wiercia etwas zu einfach vor, dass Marar tatsächlich seine Verbrechen eingestanden haben sollte, sobald Melyor zum ersten Mal mit ihm allein gesprochen hatte.
Und dann war da noch Melyors Herkunft. Wiercia gab es ungern zu, nicht einmal sich selbst gegenüber, aber auch sie fand die Vorstellung, mit einer Gildriitin verbündet zu sein ... geschmacklos. Es war nicht so, dass es ihr an Toleranz fehlte. Sie hatte nur lieber mit Menschen zu tun, die sie verstand, Menschen, die ihr ähnlicher waren. Es war gut möglich, dass sie übereilt gehandelt hatte, als sie versuchte, Melyor zu vertrauen. Die Herrscherin von Bragor-Nal war eine Mörderin und außerdem Gildriitin. Sicher, Shivohn hatte ihr vertraut, aber Shivohn war tot. Dies war nicht der Zeitpunkt, irgendetwas zu übereilen. Und auch nicht, irgendetwas auszuschließen.
»Du verstehst sicher«, sagte sie schließlich, »dass ich in ein mögliches Bündnis viel weniger einbringen kann als Melyor. Oerella-Nal ist stark und wohlhabend, aber nicht annähernd im gleichen Ausmaß wie Bragor-Nal.«
Bei diesen Worten grinste Marar breit und zeigte weiße Zähne, die für sein schmales Gesicht irgendwie zu groß wirkten. »Dessen bin ich mir bewusst, Herrscherin«, sagte er. »Aber ich glaube, du wärst überrascht, wie viel Stib-Nal zu einem solchen Bündnis beizutragen hat.«
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I ch habe seit der kälteren Jahreszeit wenig von dir und noch weniger von Shivohn gehört. Ich hoffe, es geht euch beiden gut und euer plötzliches Schweigen hat nichts mit schlechten Nachrichten zu tun. Tatsächlich ist dieser Mangel an Kommunikation wegen der jüngsten Entwicklungen
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