Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
mir. Immerhin hast du Attentäter ausgeschickt. Das ist ziemlich dreist. Ein Anführer mit deiner Erfahrung tut einen solchen Schritt nicht spontan. Du musst doch etwas im Sinn gehabt haben; einen Plan, den du ausführen wolltest.«
»Mag sein«, sagte er. »Und wenn?«
»Vielleicht kann ich dir dabei helfen.« Ihr Lächeln wurde breiter, während sie mit dem Finger über eine Kante des schimmernden scharlachroten Kristalls fuhr. »Deshalb hast du dich doch mit mir in Verbindung gesetzt, oder? Um mein Vertrauen zu gewinnen?«
Er leckte sich nervös die Lippen. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, wieso er überhaupt mit ihr hatte sprechen wollen.
»Wir wissen beide, dass du mich nicht zur Feindin haben möchtest«, fuhr sie fort. »Stib-Nal ist keinesfalls für einen Krieg mit Bragor-Nal gerüstet. Und aus demselben Grund bist du weise genug, meinen Wert als potenzielle Verbündete zu erkennen.« Sie hielt kurz inne, als wollte sie ihm Zeit geben, über ihre Worte nachzudenken. »Also sag mir: Warum hast du dich mit mir in Verbindung gesetzt?«
Sie bot ihm alles an, woran er gedacht hatte, seitdem er zum ersten Mal von Premels Versagen erfahren hatte. Und dennoch hielt ihn in diesem Augenblick etwas zurück. Es waren vielleicht der Anblick ihres Stabs und die uralten Ängste, die dieser Gegenstand in ihm erweckte. Es war vielleicht Intuition - irgendwann einmal, als er noch ein einfacher Lord gewesen war, der sich in den Blocks seinen Namen machte, waren seine Instinkte gar nicht so übel gewesen. Vielleicht lag es auch nur daran, dass ihr Angebot zu perfekt war, zu nahe an dem, was er brauchte. Woran immer es liegen mochte, er konnte sich nicht überwinden, ihr zu vertrauen. Sie war mächtig und brillant und reicher, als er sich vorstellen konnte, aber sie war auch gnadenlos, und sie war Gildriitin. Das Wichtigste jedoch war, dass sie seine Feindin war, und nichts würde das je ändern. Es war dumm von ihm gewesen, etwas anderes zu erhoffen. »Nein«, sagte er und schüttelte zur Betonung auch noch den Kopf. »Mich mit dir in Verbindung zu setzen war ein Fehler. Es tut mir Leid, dich gestört zu haben, Herrscherin.« Er wusste, das klang lächerlich. Er bildete sich nicht ein, sie täuschen zu können. Aber er musste sich diesem Gespräch entziehen, bevor er alles verdarb. Offensichtlich hatte er sie unterschätzt. Er hatte sich mit ihr in Verbindung gesetzt, um sie vielleicht in ein Bündnis locken zu können, und stattdessen wäre er beinahe selbst in die Falle gegangen. »Du willst mich glauben machen, dass du mich aus Versehen angerufen hast?«, fragte sie eindeutig überrascht. »Ja.«
Ihre Miene wurde härter. »Und den Attentäter hast du auch aus Versehen geschickt?«
Er sagte nichts mehr, sondern streckte abermals die Hand aus, um den Schirm abzuschalten.
»Denke genau nach, Marar«, warnte sie ihn. »Wenn du dieses Gespräch jetzt beendest, bist du allein. Niemand in Lon-Ser wird dir helfen können.«
Er zögerte, aber nur einen Augenblick. »Darauf muss ich es ankommen lassen.« Er schaltete den Sprechschirm aus, ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und schloss die Augen. Einen Moment später jedoch beugte er sich wieder vor, schaltete erneut die Schutzvorrichtung gegen Aufzeichnungen ein und wählte den Code für Premel. Sein Sprechschirm piepte mehrere Minuten lang, bevor die scharfen Züge des Sicherheitsmannes endlich auftauchten. Premel sah zornig aus - vermutlich war er wieder einmal mitten in einer Besprechung gewesen -, aber das war Marar egal.
»Ja, Herrscher«, begann er ungeduldig. »Was willst -«
»Ist Jibb schon tot?«, fragte Marar.
Premel wandte kurz den Blick ab, dann sah er Marar wieder an. »Nein«, antwortete er tonlos.
»Dann töte ihn. Bald. Und Melyor ebenfalls.«
Premel starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Jetzt willst du, dass beide sterben?«
»Ja.«
»Aber du hast doch erst gestern gesagt -«
»Ich weiß, was ich gestern gesagt habe! Und nun sage ich dir, dass du sie beide töten sollst! Und ich erwarte, dass es bald geschieht!«
Marar drückte auf den Knopf und beendete das Gespräch, bevor Premel noch etwas einwenden konnte.
Dann ließ er sich wieder zurücksinken und holte tief Luft. Es ging ihm bereits besser. Melyor hatte ihn gewaltig durcheinander gebracht, aber zu wissen, dass sie bald tot sein würde, beruhigte seine Nerven.
Nun gab es allerdings noch ein weiteres Gespräch zu führen. Er begriff mit einiger Verspätung, dass es
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