Die Chroniken von Araluen - Der große Heiler: Band 9 (German Edition)
besonders ausdrucksvoll. Wenn man zu nahe sitzt, wirkt es manchmal falsch.«
Damals hatte Horace gedacht, der Schauspieler suche lediglich nach einer Entschuldigung für seine übertriebene Schauspielerei. Aber nun sah er den Sinn dahinter.
»Na, ich habe jetzt jedenfalls für die Hinterbänkler gespielt«, dachte er mit grimmiger Befriedigung.
Walt hatte sich kurz bewegt, als Horace geflucht und den Eimer umgestoßen hatte. Horace sah vorsichtshalber noch einmal nach ihm. Beim Laufen verzog er das Gesicht. Er hatte sich bei dem Tritt gegen den Eimer den Zeh angestoßen. Der Zweck heiligt die Mittel, hieß es ja. Ein Künstler musste eben für seine Kunst leiden.
Er holte den Eimer, bückte sich rasch und steckte sein Schwert in die Scheide. Mit etwas Glück hatte der Beobachter das nicht mitbekommen oder gab zumindest nicht viel darauf.
Horace versuchte unbesorgt auszusehen, als er zum Teich marschierte. Er lief hinunter zum Ufer, stellte den Eimer ab und schlich sich gebückt zurück bis an den Rand der kleinen Senke. Dort ließ er sich auf den Bauch fallen und robbte hinter einen Busch, von wo aus er die Anhöhe im Blickfeld hatte. Vorsichtig suchte er sie ab, von einer Seite zu anderen
und wieder zurück. Es dauerte ein paar Minuten, doch dann nahm er eine Bewegung wahr. Der Beobachter war aus seiner Deckung gekommen, um Horace’ Weg zu verfolgen. Jetzt waren sein Kopf und seine Schultern sichtbar. Ohne diese kleine Bewegung hätte Horace den dunkelroten Farbtupfer wahrscheinlich gar nicht bemerkt.
»Also bist du zurückgekommen, was?«, murmelte er und überlegte bereits, wie er sich dem Feind unbemerkt nähern konnte.
Aber das war gar nicht so leicht. Er war nun mal kein Waldläufer. Dass Walt ihm einen Umhang gegeben hatte, änderte daran nichts. Horace wusste, dass dies seine Fähigkeiten überstieg. Und der Gedanke, sich einem geübten Armbrustschützen über offenes Gelände zu nähern, war nicht gerade verlockend.
Außerdem würde es viel zu lange dauern. Der Genovese rechnete jeden Augenblick damit, dass Horace mit einem vollen Wassereimer zurückkehrte. Wenn er Verdacht schöpfte, wer weiß, was ihm dann einfiele? Nein, beschloss Horace, es war das Beste, so zu tun, als hätte er ihn nicht entdeckt. Doch das bedeutete leider auch, dass ihm eine schlaflose Nacht bevorstand.
Er holte den Eimer, und erst im letzten Moment fiel ihm ein, ihn zu füllen. In Gedanken war er noch so mit dem heimlichen Beobachter beschäftigt, dass er dieses wichtige Detail beinahe vergessen hätte.
Im Lager angekommen, vergaß Horace den versteckten Beobachter für ein paar Minuten. Denn zu seiner großen Überraschung fand er Walt wach und bei klarem Verstand vor.
Wenige Worte genügten, und Horace erkannte, dass Walt
genau wusste, wo sie waren und was geschehen war. Er verwechselte Horace nicht mehr mit Crowley und sein Geist war scharf wie eh und je.
Seine Kehle war allerdings wie ausgedörrt und Horace holte ihm einen Becher Kaffee. Er sah, wie nach dem ersten Schluck des belebenden Getränks wieder Farbe in Walts Gesicht zurückkehrte. Nachdem er genug getrunken hatte, sah Walt sich auf dem Lagerplatz um.
»Wo ist Will? Hinter Tennyson her?«
Horace schüttelte den Kopf. »Er holt Malcolm.« Als Walt ihn verblüfft ansah, fügte er hinzu: »Den Heiler.«
Walt runzelte missbilligend die Stirn.
»Das hätte er nicht tun sollen. Er hätte sich lieber an Tennysons Fersen heften sollen. Er und seine Leute können jetzt schon meilenweit weg sein! Wie lange sagst du, war ich bewusstlos?«
»Morgen sind es drei Tage«, antwortete Horace.
Walt schnitt eine Grimasse. »Dann haben sie ja einen viel zu großen Vorsprung. Sie werden euch entkommen. Will hätte keine Zeit vergeuden sollen, um Malcolm zu holen.«
Horace fiel auf, dass er gesagt hatte: »Sie werden euch entkommen.« Offenbar hatte Walt sich selbst bei der weiteren Verfolgung bereits ausgeschlossen. Der junge Ritter fragte sich, ob er ihm von dem Genovesen erzählen sollte, der sie ständig beobachtete; wenn der Söldner Tennyson Bericht erstattete, konnten die Erwählten noch nicht allzu weit weg sein. Er entschied, dass es besser war, Walt nicht damit zu belasten. Stattdessen sagte er: »Hättest du das denn an seiner Stelle getan? Hättest du ihn im Stich gelassen, um die Verfolgung aufzunehmen?«
»Aber natürlich hätte ich das!«, antwortete Walt sofort. Doch der Ton seiner Stimme verriet ihn.
Horace zog eine Augenbraue hoch. Er hatte schon lange
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