Die Chroniken von Araluen - Die Belagerung: Band 6 (German Edition)
wusste er. Der eine war, zu lange zu warten, sodass die Armmuskeln sich verhärteten und zitterten. Der andere war, zu schnell zu schießen, sodass die Finger der rechten Hand beim Freigeben die Sehne berührten.
Der ideale Weg lag wie immer in der Mitte.
In dem Augenblick, in dem Will den Pfeil losließ, wusste er, dass der Schuss perfekt war. Er sah den Pfeil noch kurz, als er in die Nacht flog, dann verlor er ihn aus den Augen. Langsam senkte er den Bogen und wartete.
Er sah eine kurze Bewegung in dem erleuchteten Fenster, doch vielleicht hatte ihm auch seine Einbildung einen Streich gespielt. Er wartete, stand in seinem Umhang unbeweglich da, sodass er mit dem Hintergrund verschmolz. Dann verspürte er eine unglaubliche Erleichterung, als die Lampe sich bewegte.
Auf und ab, auf und ab, auf und ab. Nachricht erhalten . Will nickte zufrieden, drehte sich um und schlich zurück in den Wald. Mehr konnte er heute Nacht nicht tun.
C ullum Gelderris, Wirt in der Schänke Zum Ruhstein , war nicht allzu glücklich über seinen neuen und einzigen Gast.
Der Ritter war gestern am Spätnachmittag angekommen, auf der Suche nach einem Zimmer für ein paar Tage. Sein braunes Schlachtross war im kleinen Stall des Gasthauses untergebracht. Der junge Mann hatte seine Waffen und die Rüstung die Treppe hinaufgetragen, zusammen mit einer Sattelrolle, in der sich seine Kleidung und Waschutensilien befanden, und hatte es sich dann im größten Zimmer des Gasthauses bequem gemacht.
Bei seiner Ankunft war dem Wirt sofort die blaue Faust aufgefallen, die den weißen Schild zierte und die anzeigte, dass es sich um einen Ritter mit freier Lanze handelte. Es gab nur einen einzigen Ort im Lehen, wo ein Mann wie er angeheuert werden konnte, und das war Burg Macindaw.
Der neue Burgherr, Sir Keren, scharte Krieger um sich, das wusste Cullum. Kerens Stellvertreter, der jähzornige
John Buttle, war schon einige Male auf der Suche nach geeigneten Männern in seinem Gasthaus aufgetaucht. Er wollte es nicht glauben, als Cullum ihm sagte, dass seine Gäste einfache Lehensbauern waren. Es gab ein paar Freibauern, die ganz gut mit einer Pike umgehen konnten, aber wie der Gastwirt neigten auch sie dazu, die neuesten Ereignisse auf Macindaw mit großem Misstrauen zu betrachten, und gingen Buttle daher tunlichst aus dem Weg. Cullum nannte ihm jedenfalls ihre Namen nicht.
Denn die Dorfleute der Umgebung stellten sich einige Fragen.
Zuerst war da die eigenartige Krankheit von Lord Syron, dann die Gerüchte, dass der Zauberer Malkallam aus der Vergangenheit zurückgekehrt war, um sich an Syrons Familie zu rächen. Als Nächstes hieß es, Orman, der Sohn des Burgherrn und vorübergehender Befehlshaber von Macindaw, sei in den Grimsdellwald geflohen, wo er mit Malkallam gemeinsame Sache machte.
Geflohen?, fragte da nicht nur Cullum sich, warum sollte ein Mann aus seiner eigenen Burg fliehen? Und warum sollte er sich dann ausgerechnet mit dem Zauberer verbünden, der angeblich geschworen hatte, seine Familie zu vernichten?
Und warum suchte Keren nach Kriegern? Unter Orman und Syron hatte es eine stattliche Garnison von gut ausgebildeten Soldaten gegeben. Doch viele von ihnen waren ausgemustert und weggeschickt worden,
als Keren die Befehlsgewalt übernahm. Die Dorfbewohner hatten gesehen, durch welche Männer sie ersetzt worden waren. Das Soldatenhandwerk war kein Zuckerschlecken, aber die Männer, die jetzt auf Burg Macindaw dienten, schienen besonders raue, ungebärdige Gesellen zu sein. Die meisten von ihnen, schätzte Cullum, waren zuvor wohl eher Räuber und Banditen gewesen.
Buttle selbst war ein gutes Beispiel dafür. Er war nicht nur unwirsch und jähzornig, sondern auch noch anmaßend und eingebildet. Stets verlangte er den besten Platz im Hause, das beste Essen und den besten Wein oder das beste Bier, wenn er sich in der Schänke aufhielt. Wenn Cullum ihm die Rechnung präsentierte, winkte er hochnäsig ab und sagte ihm, er solle sie gelegentlich auf die Burg bringen – die einen Tagesritt entfernt lag.
Buttle hatte den Titel Sir John angenommen – eine offensichtliche Hochstapelei. »Wenn der ein Ritter ist«, hatte Cullum zu seiner Frau gesagt, »fresse ich einen Besen.« Seine Frau hatte ihm beigepflichtet, aber ihn zur Vorsicht ermahnt.
»Wir wollen mit diesen Leuten nichts zu tun haben«, hatte sie entschieden festgestellt. »Wir bleiben unter uns und wir mischen uns nicht ein.«
Leichter gesagt als getan, dachte Cullum
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