Die Chroniken von Araluen - Die Belagerung: Band 6 (German Edition)
Feind viel genauer auszukundschaften.
Das knirschende Laufgeräusch der Skotten im hohen Schnee wurde schwächer, als die kleine Truppe um die nächste Wegbiegung verschwand. Horace wartete, bis von ihnen nichts mehr zu sehen war, dann ging er zu Will.
»Und jetzt?«, fragte er.
»Wir folgen ihnen mit ausreichend Abstand und vergewissern uns, dass sie nach Macindaw gegangen sind. Dann werden wir einen Empfang für ihren Rückweg vorbereiten.«
Horace nickte und sprach dann etwas aus, was ihn schon eine Weile beschäftigte. »Was ist, wenn sie zurück einen anderen Weg nehmen?«
Will schwieg einige Sekunden. »Dann müssen wir uns eben etwas einfallen lassen«, antwortete er schließlich und fügte leicht ungehalten hinzu: »Meine Güte! Hör auf, mir ständig irgendwelche Sorgen einzureden!«
A lyss stand am Fenster und sah auf die Schneelandschaft hinaus, die Macindaw umgab. Im Osten konnte sie einen hellen Schimmer am Horizont erkennen, der ihr sagte, dass die Sonne aufgegangen war. Zu jeder anderen Zeit, ging es ihr wehmütig durch den Kopf, wäre sie verzaubert von der wilden Schönheit, die sich ihr bot – die weiten weißen Felder, die von dunklen Bäumen flankiert wurden, deren Spitzen mit Schnee bedeckt waren.
Doch in ihrer gegenwärtigen Situation fand sie den Anblick eher niederdrückend. Sie sehnte sich nach einem Farbfleck in der Welt. Die grauen Mauern der Burg waren düster und bedrohlich und selbst der Flagge, die Keren für sich gewählt hatte – ein schwarzes Schwert auf einem schwarzweiß gestreiften Schild –, mangelte es an Farbe.
Das Fenster war hoch, der Sims reichte Alyss gerade bis ans Knie. Das gestattete ihr einen ausgezeichneten Blick auf den darunter liegenden Hof, auch wenn dort nur wenig von Interesse zu sehen war – lediglich die
üblichen Wachwechsel und gelegentlich jemand, der vom Bergfried ins Torhaus oder in die Ställe ging. Um diese Zeit des Jahres gab es nur selten Besucher auf Macindaw – deshalb hatte Keren wahrscheinlich auch gerade diesen Zeitpunkt für seine feindliche Übernahme gewählt.
Aus dem Vorraum war das Geräusch eines Schlüsselbundes zu hören und sie drehte sich zur Tür. In dieser Einsamkeit war jede Abwechslung willkommen. Wahrscheinlich wollte einer der Dienstboten die Reste ihres Frühstücks abräumen. Zu ihrer Überraschung war es Keren, der die Tür öffnete, und in Alyss stieg Sorge auf.
Ihre größte Befürchtung war, dass irgendetwas geschehen war, was erneut seinen Verdacht erregt hatte. Sie legte ihre Hände auf den Rücken und tastete verstohlen nach dem kleinen schwarzen Kiesel, der in ihrem Ärmelbund versteckt war. Ihre Überraschung stieg, als sie sah, dass Keren ein Tablett mit einer Kaffeekanne und zwei Tassen trug. Er lächelte sie an, während er die Tür mit einem Fuß schloss, zum Tisch trat und das Tablett dort absetzte.
»Guten Morgen«, grüßte er fröhlich.
Sie antwortete nicht, sondern nickte ihm nur zu und fragte sich, was das alles sollte. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf seine Gürteltasche, wo er das letzte Mal den blauen Stein aufbewahrt hatte. Keren sah den Blick und hob abwehrend die Hände.
»Keine Fragen. Kein blauer Stein. Ich dachte nur,
dass wir vielleicht eine Tasse Kaffee zusammen trinken könnten.«
Alyss betrachtete die Kaffeekanne voller Misstrauen. Vielleicht hatte Keren ein Gift oder eine Droge hineingetan – eine Droge, der sie nicht einmal mithilfe des Stellatit widerstehen könnte.
»Ich hatte gerade erst Frühstück«, entgegnete sie abweisend.
Keren lächelte wissend. »Ihr denkt, der Kaffee könnte mit Drogen versetzt sein?« Er goss sich eine Tasse ein, nahm einen großen Schluck und seufzte dabei vor Wohlbehagen. »Nun, wenn ja, schmeckt er dennoch vorzüglich.«
Abwartend blieb er stehen. Nach einigen Sekunden schüttelte er lächelnd den Kopf. »Nein, ich spüre keine bösen Nachwirkungen – nur den Wunsch nach einem weiteren Schluck.«
Er deutete auf den anderen Stuhl.
Alyss war immer noch nicht überzeugt. »Natürlich hättet Ihr schon im Vorhinein ein Gegenmittel nehmen können.«
Er nickte zustimmend, dann sagte er freundlich: »Alyss, wenn ich Euch etwas verabreichen wollte, meint Ihr wirklich, ich käme mit einem Kaffee zu Euch?«
»Wieso nicht?«, erwiderte sie kühl.
»Überlegt doch mal: Wenn ich das tun wollte, warum sollte ich dann erst Euren Argwohn erregen? Wäre es nicht viel einfacher, das Mittel in das Frühstück zu geben, das Ihr
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