Die Chroniken von Araluen - Die brennende Brücke: Band 2 (German Edition)
dem Balken, der über die Schlucht führte. »Ich werde es noch einmal anzünden«, sagte er.
Kaum hatte er das gesagt, rannte er auch schon los.
Horace wurde ganz mulmig, als er ihn so schnell auf dem schmalen Balken über den Abgrund laufen sah. Dann beobachteten er und Evanlyn in fieberhafter Ungeduld, wie Will neben der Glut kauerte. Er begann, sie anzufachen, und blies hinein, bis eine kleine Flamme aufflackerte.
»Er hat es geschafft!«, rief Evanlyn, doch gleich darauf wurde die Flamme schwächer. Wieder beugte Will sich vor und blies behutsam in die Glut. Das Seil auf der rechten Seite gab erneut nach und die Brücke knickte leicht zu dieser Seite ein.
»Komm schon! Komm schon!«, murmelte Horace immer wieder vor sich hin und ballte dabei die Hände zu Fäusten, während er seinen Freund beobachtete.
Da kam ein leises Wiehern von Reißer.
Sowohl Horace als auch Evanlyn drehten sich zu dem Pony um. Auf das Wiehern ihrer eigenen Pferde
hätten sie nicht geachtet, doch sie wussten, dass Reißer darauf abgerichtet war, ruhig zu bleiben, außer …
Horace blickte zu Will, der immer noch über der Glut kauerte. Anscheinend hatte er Reißers Warnung nicht gehört. Evanlyn packte Horaces Arm und deutete auf die andere Seite. »Sieh doch!«
Horace folgte ihrem Fingerzeig und sah einen Lichtschimmer im Tunneleingang. Es kam jemand!
Reißer scharrte mit den Hufen und wieherte erneut, diesmal etwas lauter, doch Will hörte ihn nicht.
Evanlyn traf eine Entscheidung. »Bleib hier!«, sagte sie zu Horace und begann, über das Holzgerüst zu laufen. Sie ging sehr vorsichtig, und ihr Herz klopfte heftig, als die angeschlagene Brückenkonstruktion schwankte. Unter ihr war nichts als dunkler Abgrund und ganz weit unten glitzerte silbern ein Fluss. Evanlyn holte tief Luft und ging weiter.
Da schwankte die Brücke erneut, und einen furchtbaren Moment lang stand Evanlyn mit ausgebreiteten Armen da, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Hinter sich hörte sie Horaces erschrockenen Aufschrei. Entschlossen holte sie tief Luft und rannte das letzte Stück hinüber. Will bemerkte sie, als sie sich ihm näherte, und blickte hoch. Atemlos deutete sie auf den Tunneleingang.
»Sie kommen!«, rief sie. Und jetzt waren auch schon einige brennende Fackeln zu sehen, mit denen
ein paar Gestalten aus dem Tunnel heraustraten. Sechs Personen zählte Evanlyn, und ihren Umrissen nach zu urteilen, waren es Wargals.
»Wir müssen weg!«, rief Evanlyn und fasste Wills Ärmel. Doch er schüttelte ihre Hand ab, nahm seinen Bogen auf und überprüfte die Sehne.
»Du kehrst um!«, befahl er ihr. »Ich bleibe und halte sie auf.«
Noch während er sprach, legte er einen Pfeil an und schoss ihn auf den ersten der sich nähernden Wargals. In die Brust getroffen, stürzte der mit einem Aufschrei zu Boden, wo er still liegen blieb. Als die anderen das bemerkten, sahen sie sich nach dem Schützen um. Die kleine Gestalt am Ende der Brücke fiel ihnen nicht auf. Da kamen schon wieder drei Pfeile aus der Dunkelheit auf sie zu. Die Metallspitzen von zweien schlugen Funken, als sie gegen die Felsen prallten. Der dritte Pfeil traf einen Wargal in den Unterarm. Er schrie vor Schmerzen auf und sank auf die Knie.
Die anderen Wargals zögerten unsicher. Sie hatten den Rauch des Feuers über dem Berg entdeckt, der ihr Lager von der Brücke trennte, und waren gekommen, um die Ursache herauszufinden. Jetzt wurden sie von unsichtbaren Bogenschützen beschossen. Da niemand ihnen den Befehl zum Angriff gab, zogen sie sich schnell in den schützenden Tunnel zurück.
»Sie ziehen ab!«, sagte Evanlyn zu Will. Der hatte
das bereits gesehen und sich wieder hingekniet, um das Feuer anzufachen.
Evanlyn ließ sich neben ihm auf die Knie fallen und begann, die angebrannten Stücke neu aufeinanderzuschichten.
»Du hältst die Wargals in Schach!«, sagte sie. »Ich kümmere mich um das Feuer.«
Will zögerte. Schließlich hatte sie dieses Feuer schon beim ersten Mal nicht richtig gelegt. Ob sie es jetzt wohl besser konnte? Als er zur Tunnelöffnung sah, bemerkte er, dass sich dort etwas tat, also hatte Evanlyn wohl recht. Er nahm seinen Bogen und suchte Deckung hinter Felsblöcken in der Nähe.
Evanlyn hielt ihn zurück. »Dein Messer!«, sagte sie. »Lass es bei mir.«
Er fragte nicht warum. Er zog das Sachs aus der Scheide und legte es neben Evanlyn auf die Planke. Dann trat er hinter die Felsen. Als er die Brücke verließ, spürte er, wie sie erneut erzitterte.
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