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Die Chroniken von Blarnia

Die Chroniken von Blarnia

Titel: Die Chroniken von Blarnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gerber
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diese verdammten Tiere nennen mich >Weinbrandsmann<... Ich hab mein Leben vertan. Ich bin unsterblich, und ich habe mein Leben vertan.«
    »Hast du mit diesem Freund von uns gesprochen«, fragte Ruth, »der aus dir einen Gerichtsdiener machen wollte?« 8 »Nee, hatte keinen Bock«, sagte der Weihnachtsmann.
    Pete, der noch im Eingang des Lochs saß, begriff plötzlich, wozu Mythen gut sein können. Unterdessen hatte sich Loo neben ihn gequetscht.
    »Ist das... der Weihnachtsmann?«, fragte sie erstaunt.
    Pete wusste nicht, was er sagen sollte. Loo hatte immer schon ein extremes, um nicht zu sagen krankhaftes, Faible für Weihnachten gehabt. Jedes Jahr, wenn in ihrer Schule das Krippenspiel aufgeführt wurde, hatte sie darauf bestanden, das Jesuskind zu spielen, sogar noch, als sie so groß geworden war, dass ihre Beine ziemlich grotesk aus der Krippe baumelten. Weihnachten war Loos Lieblingsfest, vor allem deshalb, weil sie seltsamerweise immer scharfkantige kleine Spielzeuge in ihrem Weihnachtspudding fand, an denen sie ersticken konnte. Ed machte sich einen Spaß daraus, weitere Dinge in ihrem Pudding zu verstecken - unappetitliche Sachen wie einen eingelegten, halb sezierten Frosch oder die schweißdurchtränkte Zunge eines schäbigen alten Turnschuhs. Pete wusste, dass Ed nichts unversucht ließ, um Loo ein für alle Mal zu beweisen, dass es den Weihnachtsmann nicht gab. Bislang ohne Erfolg. Aber das hier... Wenn sie herausfand, dass der Weihnachtsmann ein übel riechender alter Säufer war, würde ihr das den Rest geben.
    »Nein«, sagte Pete, »das ist bloß ein umherstreunender...«, er wollte vor Loo nicht »Säufer« sagen, »Musikant.«
    »Gar nicht wahr«, widersprach sie ihrem Bruder entrüstet. »Du weißt doch, was Mum immer sagt: >Wenn man über Weihnachten Lügen erzählt, muss das Jesuskind spucken.«< Sie drehte sich um. »Sue«, rief Loo, »willst du mal den Weihnachtsmann sehen?«
    »Ihr müsst das verstehen«, sagte der Weihnachtsmann zu den Biberinnen. »Sagt Asthma: Nachdem Weihnachten abgeschafft wurde, gab es nichts mehr für mich zu tun. Nichts als Herumsitzen und Nachdenken«, sagte der Weihnachtsmann.
    » Trinken , meinst du«, sagte Ruth.
    »Gute Idee.« Er setzte die Flasche an, stellte fest, dass sie leer war und warf sie ins Gebüsch. »Oh-oh. Mein Bündel wird leichter, und Blarnia ist kein Ort, an dem ich mich nüchtern aufhalten möchte. Wenn ihr mich entschuldigen wollt. Ich muss wieder zurück in meine Höhle voll Schnaps. Alles alte Geschenke. Es hat Jahre gedauert, bis die Leute diese Gewohnheit abgelegt haben, obwohl es Weihnachten längst nicht mehr gab.«
    »Nun, jetzt wird es wieder eingeführt. Daher würde ich an deiner Stelle schleunigst anfangen, schwarzen Kaffee zu trinken«, sagte Ruth.
    »Na toll«, sagte der Weihnachtsmann säuerlich.
    »Ich dachte, du würdest dich freuen«, sagte Naomi.
    »Oh ja, ich bin überglücklich«, sagte er sarkastisch. »Wer hätte nicht Lust, die ganze Nacht am Telefon zu hängen? >Ja, Weihnachten wurde wieder eingeführt. Nein, ich weiß auch nicht, warum. Ist doch nicht mein Problem, dass Ihnen Ihr Kostüm nicht mehr passt.. .<«
    »Am Telefon?«, krächzte Ruth. »Mit wem?«
    »Santa Claus, Papa Noel, Strega Buffana, dem Heiligen Nikolaus, Kerstmann, dem kleinen Zwerg Jultomten, Väterchen Frost, Schneeflöckchen... Die dürfte gern mal auf mir schmelzen, uaaaahhh.«
    Als sie das widerliche Lustgestöhn des Weihnachtsmanns hörten, schauten sich die Biberinnen an. Ruth ergriff als Erste das Wort. »Die hast du dir doch alle ausgedacht!«
    »Nein, hab ich nicht. Schön wär’s«, sagte der Weihnachtsmann. »Ich muss mich hier mit euch herumschlagen, aber Weihnachten ist überall. In Amerika, Mexiko, Frankreich, Italien, Norwegen... Alle haben sie ihren Weihnachtsmythos. Oder habt ihr gedacht, nur Engländer feiern Weihnachten?« Der Weihnachtsmann schnaubte. »Ignoranten.«
    »Schnapsdrossel«, fauchte Ruth zurück. Es wurde langsam unschön.
    »Ich ziehe >Gindrossel< vor«, sagte der Weihnachtsmann.
    Vom Loch aus beobachtete Loo den Weihnachtsmann so gebannt wie eine Katze, die eine Maus jagt. »Sieht aus, als wäre er betrunken«, sagte sie, und dann, merklich beunruhigt: »Ich glaube, er geht weg!« Daraufhin sah Pete etwas ziemlich Furchteinflößendes: Er sah, wie sich die sonst so gefälligen, wenn auch nichts sagenden Züge seiner kleinen Schwester in eine Kabuki-Maske purer Gier verwandelten.
    »Weihnachtsmann!«, schrie Loo.

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