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Die Chroniken von Blarnia

Die Chroniken von Blarnia

Titel: Die Chroniken von Blarnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gerber
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»Hier bin ich! Weihnachtsmann, ich will ein Gesehenk!« Sie kletterte aus dem Loch und galoppierte »Haben! Haben! Haben!« kreischend durch den Schneematsch auf das Grüppchen zu. Noch ehe sie die paar Meter zurückgelegt hatte, war ihr Gekreische zu etwas äußerst Verstörendem mutiert: einem heiseren Singsang der Habsucht.
    Pete, der sich mehr für Sport als für Anthropologie interessierte, bemerkte das zwar nicht, doch Loos Verhalten hatte etwas Primitives, etwas, das auf die Frühzeit der menschlichen Rasse zurückgeht - als junge Affenmenschen verborgen in den Bäumen hockten oder hinter Grasbüscheln kauerten und auf ein »Geschenk« in Form einer kranken Antilope oder eines verirrten Gnus warteten. Loos Begehrlichkeit war erschreckend. Der Weihnachtsmann kannte diesen Blick genau. Selbst in der guten alten Zeit hatte er ihn bis in seine Träume verfolgt. Als er das Kind sah, ergriff er die Flucht. Unglücklicherweise lag er dank seines angeschlagenen Gleichgewichtsinns und seiner glatten Stiefelsohlen im Nu auf der Nase.
    Mit einem Satz war Loo auf ihm. Den Schweißgeruch, der in Wellen von ihm aufstieg, bemerkte sie gar nicht. »Ich will ein Geschenk!«, schrie sie. Loos Vorstoß wirkte wie ein Katalysator: Wie elektrisiert von der Aussicht, etwas umsonst zu bekommen, kamen Pete und Sue aus dem Loch geschossen.
    »Hilfe! Hilfe!«, winselte der Weihnachtsmann, während er sich verzweifelt gegen das kleine Mädchen wehrte. Er schaute zu Ruth und Naomi hinüber. »Es tut mir Leid, dass ich euch als Ungeziefer bezeichnet habe! Holt sie von mir runter!«
    »Nein«, sagte Ruth, die stummeligen Ärmchen verschränkt. »Es wird Zeit, dass du wieder den Weihnachtsmann spielst. Der Schnee schmilzt.«
    »Ich dachte schon, mit meinen Augen stimmt was nicht... Geh von mir runter, Kind.« Er rappelte sich auf und schüttelte Loo ab. Doch sie fiel ihn immer wieder an und klammerte sich an ihn.
    »Oh, nein«, sagte sie. »Ich lasse Sie nicht gehen, ehe Sie mir ein Geschenk gegeben haben! Haben Sie den Brief gekriegt, den ich Ihnen geschickt habe? Na? Was ist?«, brabbelte Loo.
    »Tritt ihm in die Eier«, johlte Pete lachend. »Damit schaffst du’s bestimmt!«
    »Okay, ich hab was für dich«, sagte der Weihnachtsmann erschöpft. »Ich habe Geschenke für euch alle.« Er drehte seine Taschen um und begann dann in seinem dreckigen, tropfenden Sack herumzuwühlen.
    »Ich glaube nicht, dass ich daraus etwas haben will«, sagte Loo.
    Der Weihnachtsmann warf ihr einen Blick zu, der den Nordpol zum Schmelzen hätte bringen können. »Halt den Mund! Du nimmst das, was ich dir gebe, und es hat dir verdammt noch mal zu gefallen. Also wirklich. Es sind Kinder wie du, die mir das Leben zur Hölle machen!« Er wandte sich an die Biberinnen. »Versteht ihr, Wombats? Versteht ihr jetzt, warum ich trinke?«
    »Biberinnen«, verbesserte Ruth.
    »Lass gut sein«, sagte Naomi. »Morgen erinnert er sich vermutlich an gar nichts mehr.«
    Während der Weihnachtsmann in seinem Bündel herumwühlte, begann Loo ihn wie ein Hai zu umkreisen. Dabei machte sie in regelmäßigen Abständen einen Buckel - Ozeanographen bezeichnen das als »Angriffsstellung«. Gerade, als sie sich auf ihn stürzen wollte, holte der Weihnachtsmann eine kleine Flasche, etwa von der Größe und Form eines Minifläschchens aus dem Flugzeug, hervor.
    »Findest du das wirklich passend?«, fragte Ruth vorwurfsvoll. »Wie alt mag sie wohl sein — acht?«
    »Das ist kein Schnaps«, sagte der Weihnachtsmann, während Loo ihm die Flasche praktisch aus der Hand riss. Sie hatte sie bereits entkorkt und halb zum Mund geführt, bevor sie fragte: »Ist das giftig?«
    »Nein. Nicht mal, wenn du die ganze Flasche austrinkst«, sagte der Weihnachtsmann. »Es ist eine mittlerweile rezeptfrei erhältliche, kostbare Tinktur, die nur im größten Notfall angewendet werden darf.«
    Pete bemerkte Loos Gesichtsausdruck und sagte: »Wenn du es nicht haben willst, gib’s mir. Ich würde gern mal ausprobieren, wie weit ich es werfen kann.«
    Loo überlegte kurz und steckte die Flasche dann in ihre Tasche. »Schon gut«, sagte sie. Vielleicht konnte Professor Berke das Zeug analysieren und ihr sagen, ob es irgendwelche gefährlichen Wechselwirkungen mit anderen Mitteln gab. Einen Versuch war es wert.
    Jetzt meldete Sue sich zu Wort. »Loo«, sagte sie, »wenn es nicht giftig ist, können wir es vielleicht essen.«
    »Nein! Das ist mein Geschenk, davon geb ich nichts ab.«
    Der Weihnachtsmann

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