Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chroniken von Blarnia

Die Chroniken von Blarnia

Titel: Die Chroniken von Blarnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gerber
Vom Netzwerk:
du?«
    Der Zwerg musste häufig innehalten, um nicht komplett die Beherrschung zu verlieren. »Ich... lache nicht... meine Königin, ich weine... weine aus sehr großer Furcht.« Als er diese letzten Worte sprach, musste der Zwerg sich die Faust in den Mund stopfen und draufbeißen, bis Blut kam.
    »Mh-hm.« Die Hexe war nicht überzeugt. »Komm runter und fessel den Jungen, damit er nicht wegläuft.«
    »Mich fesseln?«, schnaubte Ed fassungslos. »Kennen Sie keinen Fesselzauber oder so was? Sein beknacktes Wams hat mehr Zauberkräfte als Sie!«, sagte Ed und zeigte dabei auf den Zwerg.
    Dieser sah auf seine Brust hinunter. »Das ist nicht beknackt«, sagte er gekränkt. »Ich hab es von einem Barockfestival.«
    Die Hexe sagte kein Wort, sondern schaute mit leerem Blick ins Nichts, während sie eine Rolle Pringles aufaß und daran dachte, wie viel erfüllender und amüsanter das Leben wäre, wenn es keine Untertanen gäbe. Naja, immerhin konnte ich auf der Betriebsfeier im Wald etwas zu essen klauen, dachte die Hexe, während sie eine Schüssel mit Dip ausleckte.
    Unterdessen versuchte der Zwerg, Ed mit irgendetwas die Hände zu fesseln, aber er konnte nichts Brauchbares finden. Schließlich schlang er eine Lakritzschlange um Eds Handgelenke. »So, mach das nicht kaputt«, befahl der Zwerg. »Tu so, als wäre es ein Stahlseil.«
    Prompt zerriss Ed die Fessel. »Tut mir Leid, ich hab echt Hunger«, sagte er und steckte sie sich in den Mund.
    Die Hexe stürmte auf ihn zu. Sie riss das Ende der leeren Chipsröhre ab und stieß eine von Eds Händen hinein. Bevor er sich ihr entwinden konnte, stopfte sie auch seine andere Hand in die Röhre, und nun war der Junge tatsächlich gefesselt.
    »So!«, sagte sie. »Können wir jetzt gehen?«
    Das Trio setzte sich in Bewegung. Aufgrund seines Hungers und seiner Gereiztheit musste Ed die Nachhut bilden.
    »Das ist doch Scheiße«, fluchte Ed vor sich hin.
    »Halt den Mund und trag meinen Pelz«, sagte die Hexe und warf ihn ihm über die Schulter. Unter der Last des persenninggroßen Pelzes stolperte der Junge einher und durchbohrte den verschwitzten Koloss, der verdrossen vor ihm herstapfte, mit Blicken. Jedes Mal, wenn die Königin ausholte und dem Zwerg eine runterhaute, geriet ihr unglaublicher Hintern noch mehr ins Schaukeln. Ed wand seine Hände aus der Pappröhre und warf diese weg. Er fragte sich, wie er sich je von so einer übellaunigen, total abstoßenden Niete hatte angezogen fühlen können. Und das war der Moment, in dem Ed Perversie, ohne dass er ein bestimmtes Alter erreicht, eine sexuelle Erfahrung gemacht oder einen gesellschaftlichen Triumph gefeiert hätte, erwachsen wurde.
    »Anhalten!«, rief die Feiste Hexe und legte die Hand hinter ihr speckfaltenberingtes Ohr.
    »Was ist denn, Euer Majestät?«, fragte der Zwerg.
    »Psst!« Plötzlich bemerkten alle ein höchst sonderbares Geräusch - eine Art Rauschen, Knacken, Zischen und Summen. Es war schwach, aber es wurde lauter.
    »Nichts«, sagte die Hexe. »Ich dachte, ich hätte einen Eiswagen gehört.«
    Sie setzten sich wieder in Marsch, und plötzlich brach die Hölle los. Der unvermutete Klimawandel ließ in ganz Blarnia durch das Schmelzwasser die Wasserstände ansteigen, riesige Eisplatten zerbarsten explosionsartig, und Eisberge von der Größe Liechtensteins schlitterten in alle Himmelsrichtungen. Ein brütend heißer Schirokko blies Ed unverhofft ins Gesicht und bombardierte es mit Sand aus den Wüsten, die sich beinahe ebenso schnell ausdehnten wie die Wasserflächen. Ein Moskito summte, stach zu und pumpte Ed mit Malaria und Gelbfieber voll. »Du solltest mal meine kleine Schwester kennen lernen«, sagte Ed, während sein Immunsystem in sich zusammenbrach.
    »Wie seltsam«, sagte die Feiste Hexe, die plötzlich knöcheltief im Wasser stand.
    Ein als Vogel verkleidetes Eichhörnchen flitzte an den dreien vorbei. Es saß in einem winzigen Kajak und ritt auf den kleinen Stromschnellen, die sie umgaben. »Jip-PIE!«, rief es.
    »Meine Königin, ich furchte, das ist nicht bloß Tauwetter«, sagte der Zwerg. »Das ist der Frühling.«
    »Aber das ist unmöglich!«, sagte die Hexe. »Wenn das der Frühling ist, kann das nur eins bedeuten...«
    Die beiden wechselten einen entsetzten Blick und sagten wie aus einem Munde: »... das Ende das Bilanzjahrs!«

»Sind wir bald da?«, quengelte Loo.
    Während die Feiste Hexe sich fieberhaft den Kopf darüber zerbrach, wie sie die Steuernachzahlungen für ein ganzes

Weitere Kostenlose Bücher