Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
durch die Luft, und der eisige Wind verhieß Schlimmeres.
Irgendwo am Fuß der Bärenfang-Felsen wartete die Höhle auf uns. Es war nicht mal eine echte Höhle, sondern nur ein Loch unter einem Überhang, wo mal ein Stück Fels herausgebrochen war. Durch späteren Steinschlag hatten sich davor Felsbrocken aufgehäuft, aber eine schmale Lücke war geblieben, die einen erwachsenen Mann hindurchließ. Drinnen wären wir vor Wind und Schnee geschützt.
Es kam nur darauf an, das Loch wiederzufinden. Vor zwei Jahren hatte ich mal ein paar Nächte darin verbracht, als ich in einer nahen Wand Karkabonsteine schlug. Damals war ich von der Westseite des Kars gekommen. Wenn man von Osten kam, sah so eine Wand ganz anders aus. Ich hatte mir überlegt, dass es das Beste wäre, nach Süden zum Fuß der Steilwand zu klettern und dann nach Westen zu gehen, bis wir auf die Höhle stießen.
Kiran stapfte über die Steine auf mich zu. Sein Gesicht war weiß und angespannt, jedem schleppenden Schritt war die Erschöpfung anzusehen.
»Es ist nicht mehr weit«, rief ich gegen den Wind. »Die Höhle ist dort in den Felsen.« Ich zeigte auf die abschreckende Südwand des Kars.
Er ließ die Schultern hängen. Es war wirklich nicht weit, nur ein oder zwei Meilen, aber es ging über Geröll und manchmal wurde es steil.
»Ruh dich kurz aus«, sagte ich. »Iss etwas und zieh alles Warme an, was du hast. Es wird noch kälter werden.«
Kiran setzte sich wortlos hin. Er kaute auf einem Stück Dörrfleisch, als wäre er selbst dafür zu müde. Ich versuchte, mein Unbehagen zu ignorieren. Wir waren fast da, verdammt. Er würde es noch schaffen.
Selbst in der kurzen Zeitspanne unserer Rast wurde der Schnee dichter, der Wind stärker. Die Flocken blieben klein, kein gutes Zeichen. Es würde ein gefährlicher Sturm. Seufzend prägte ich mir die Position der Felsen ein. Bei dem Schnee und der zunehmenden Dämmerung würde ich sie bald nicht mehr erkennen können. Wenn wir uns verliefen, würden wir ewig durch das steinige Becken laufen und erfrieren.
Bei dem Gedanken holte ich das kurze Seil heraus. Als Kiran aufgestanden war, band ich das eine Ende um seine Taille, das andere um meine. »Behalte das um, dann können wir uns nicht verlieren«, rief ich ihm ins Ohr. Falls er antwortete, hörte ich es nicht. Er hatte sich in Mütze, Kapuze und Schal eingemummt. Ich ging los und hielt das Seil hinter mir hoch, damit es nicht an scharfkantigen Steinen scheuerte.
Der Schnee fiel dicht und schnell und machte das Geröllfeld zu einem rutschigen, tückischen Terrain. Der Wind peitschte mir die Schneeflocken in die Augen. Ich machte mir mehr und mehr Sorgen um Kiran. Er schwankte hin und her und fiel häufig. Anfangs raffte er sich von selbst wieder auf, aber mit der Zeit musste ich ihn hochziehen, was meiner Zerrung in der Seite nicht gut tat. Nach dem zehnten Mal kürzte ich das Seil zwischen uns auf Armeslänge und zog ihn den Geröllhang hinauf.
Als wir den Fuß der Felsen erreichten, war die Dämmerung weit fortgeschritten und die Luft schneegesättigt. Kiran lehnte sich gegen den Fels und ließ sich daran hinabsinken. Seine Augen waren geschlossen, die Wimpern und die Haarspitzenschneeverkrustet. Ihn anzubrüllen bewirkte nichts mehr, und ich ging dazu über, ihn zu treten, um ihn anzutreiben. Ich zerrte ihn voran und flehte zu Khalmet, die Höhle möge nicht mehr weit sein und ich möge sie trotz des Dämmerlichts sehen. Ich begann, alles zu verfluchen, Kiran, den Auftrag, Bren und am meisten den Scheißmagier, der den Sturm heraufbeschworen hatte. Ich spie die Worte in den heulenden Wind.
Endlich, durch ein Wunder Khalmets, ragte ein mir bekannter Haufen Steine aus dem Schneegestöber. Ich band das Seil an meiner Taille los und riss Kiran vor mich. Unter viel Geschubse und Geschrei brachte ich ihn zu der Lücke hinauf. Sie war halb von Eis und Schnee versperrt. Ich klopfte sie mit einer Hand frei und zwängte Kiran mit der anderen hindurch.
Einmal drinnen spürte man sofort die Erleichterung – kein Wind mehr und der Boden war trocken. Natürlich war es schwarz wie in einem Stollen, aber ich hatte die Feuersteine eigens zuoberst in den Rucksack gepackt. Ich hatte viel Übung darin, ein Magierfeuer zu entfachen. Blau-rote Flammen schienen auf Kiran, der eng zusammenkrümmt und heftig zitternd dalag.
Solange er noch zitterte, ging es ihm besser, als ich befürchtet hatte. Wenn man damit aufhört, ist der Tod nicht mehr weit. Ich packte
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