Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
Finsternis gelegen. Von dort stammten die unsterblichen Sternenkinder, von deren Geschichten Rowarn als Kind nie genug bekommen und von denen er immer geträumt hatte, als er nachts den Sternenhimmel betrachtete.
»Alles andere verblasst ...«, flüsterte er, und ihm war, als streifte ihn der Atem eines Gottes, als ein sanfter, trockenkalter Wind aufkam.
»Hier oben werden die alltäglichen Probleme winzig klein«, stimmte Jelim zu. »Das ist der höchste Ort, den kurzlebige Sterbliche wie wir erreichen können, um eine Ahnung von der Macht zu erhalten, die uns umgibt. Selbst Mächtige der Finsternis wie Femris, unser Feind, auf den wir uns ganz und gar konzentrieren werden, wenn wir wieder unten sind, kann nicht an dem rütteln, was wir hier oben sehen – die Wahrheit.«
»Ja«, flüsterte Rowarn abwesend. »Meine Muhmen erzählten mir hiervon. Wenn wir ganz genau hinhören, können wir sogar der Weltenmelodie lauschen, oder zumindest einigen Klängen davon. Denn dieses Universum wurde mit Klang geschaffen, und der erste Ton schuf das erste Licht und die erste Welt. All dies wurde geformt von Ishtrus Erstem Gedanken Erenatar, als er zu singen begann, als die Melodie aus ihm strömte und alles erfüllte. Dies ist es, was Ishtru der Träumer ist, sein Ur-Sein, sodass wir alle ein Teil von ihm sind, und von seinem Traum. Einst schwangen wir alle in derselben Harmonie, doch das änderte sich, als aus der EINHEIT das GETEILTE wurde, und die Melodie hat nun Dissonanzen. Aber jede Welt hat ihren eigenen Klang, und der von Waldsee, so sagen meine Muhmen, sei besonders rein.«
Die anderen, einschließlich Jelim, starrten ihn sprachlos an, ein wenig ungläubig, jedoch auch bewundernd.
Atemlose Stille trat ein, und alle lauschten mit geschlossenen Augen.
Rowarn entspannte sich, wie er es gelernt hatte. Und dann ... hörte er es tatsächlich. Zarte, süße Klänge, die er nicht beschreiben, geschweige denn nachsingen könnte, doch sie waren unbeschreiblich schön und erfüllten ihn mit tiefer Liebe. Vor seinem inneren Auge formte sich schließlich ein Bild, ein leuchtender Schemen, umgeben von weißen Schleiern. Die anmutige, ätherische Gestalt einer Frau in langen Gewändern, deren helle Haare sie wie ein Umhang umgaben, mit einer perlmuttschimmernden Haut und Augen, tiefer als ein See, blauer als der Himmel. Sie lächelte.
Mutter ...
Rowarn, mein Sohn .
Doch abrupt änderte sich das Bild und wurde dunkel. Rote Schleier verhüllten die Gestalt der Frau, und die Klänge, die sie umgaben, wurden dissonant und schrill. Rowarn sah einen riesigen Schatten, der sich über sie beugte, und sie fiel, und er sah Blut, überall Blut, und dann verspürte er einen entsetzlichen Schmerz ...
Rowarn stieß einen Schrei aus und brach in die Knie. Wimmernd beugte er sich vornüber, krallte die Finger in den Schnee, versank fast mit dem Gesicht darin. »Nein ... nein ...« Seine Tränen schmolzen winzige Löcher in den Schnee, und er stieß einen weiteren Klagelaut aus und schlug sich an den Kopf, krallte die Finger in seine Haare und riss daran. »Nehmt es von mir! Ich will diese Bilder nicht sehen!« Er würgte, aber sein leerer Magen gab nichts mehr her.
Erst als Jelim ihn heftig schüttelte und Rayem ihm einen Schneeball an den Kopf warf, beruhigte Rowarn sich etwas. Er verharrte leise schluchzend, gekrümmt im Schnee.
»Was hat er denn?«, fragte Jelim besorgt.
»Er ist manchmal ein bisschen komisch«, antwortete Rayem.
»Das ist noch milde ausgedrückt«, bemerkte Lohir Sommersprosse. »Wir erleben den großartigsten und erhabensten Moment unseres Daseins, sind fast so weit, Zwiesprache mit den Göttern zu halten, und er dreht durch.«
Rowarn fühlte kräftige Hände zu beiden Seiten, die ihn mit einem Ruck hochzogen. »Kommt, bringen wir ihn runter, bevor er noch abstürzt«, sagte Rayem.
»Es wird ohnehin Zeit«, stimmte Jelim zu. »Wenn wir es bis zur Dämmerung schaffen wollen, müssen wir ordentlich an Geschwindigkeit zulegen.«
»Kein Problem«, grinste Kalem Schwarzzahn neben ihr. »Abwärts geht's! Und ich habe auch schon einen hervorragenden Weg entdeckt.«
Mit vereinten Kräften schafften sie den willenlosen Rowarn auf der anderen Seite hinunter. Der Weg war hier tatsächlich um einiges leichter, bis sie zu einem Hang kamen.
»Wir sollten den Weg dort hinten nehmen«, schlug Jelim vor.
Kalem schüttelte den Kopf. »Das hier ist ein Gletscher, und nicht mal besonders steil. Wir können ganz einfach
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