Die Chronistin
wenn er sähe, was darunter wäre: Schleim und Blut, Feuchtigkeit und Galle, der gleiche Unrat schließlich, der in den Nasenlöchern zu finden wäre und der diesen Leib zum Dreckbeutel machte.
Frère Guérin aber bekundete keinen Ekel – sondern einzig den Willen zu dieser sanften, müder und weicher werdenden Umarmung.
Aus Angst, ihr Gewicht könne ihm zu schwer werden, erhob sie sich schließlich. Er folgte ihr nicht. Knieend fasste er nach ihrem Leib und verharrte so den Rest der Nacht. Wiewohl sie ihr Kleid wieder über ihren Leib gestreift hatte, fühlte sie seinen warmen Atem auf ihrem Bauch und den Druck seines Kinns auf ihrer Scham – und indes sie so stand, empfand sie ein absonderliches Ziehen in ihrem Leib, ein wenig so wie vorhin das Kitzeln, nur köstlicher. In sanften Wogen kehrte es mehrmals wieder, um jedes Mal ein wenig stürmischer ihre Sinne zu umspülen.
Wohlig ermattet fühlte sie sich danach, ermüdet und zugleich gestärkt. Sie streichelte sein schütteres, blondes Haar, sie wiegte ihn sanft, und als er solcherart kniend schlief, so blieb sie über Stunden stehen, um ihn nicht zu wecken.
Warm und weich, ging ihr verträumt durch den Kopf. Er ist so warm und weich...
Sechs Wochen später saß sie bei Théodore.
Fahrig war ihr Geist und vermochte sich nur schwer dem zu widmen, was der Knabe zu sagen hatte.
»Ich habe eben«, setzte er stolz an, »De sec dierum operibus gelesen, das Thierry von Chartres verfasst hat. Soll ich’s für Euch zusammenfassen?«
Sophia griff sich mit beiden Händen an die Stirne, welche glühte. Es war August, und alle Welt schwitzte – ihr Körper jedoch schien in Flammen zu stehen. Schwer waren die Glieder, aufgebläht der Leib.
Théodore missdeutete ihre Geste. »Also kennt Ihr dessen Werk bereits«, stellte er fest, um eifrig fortzufahren: »Wie ist es dann um Guillaume de Conches umfassende Studien bestellt? Oder die Naturphilosophie von Bernard Silvestris? Oder das, was Adelard von Bath über die Seele der Tiere zu sagen hat?«
Er sprach triumphierend – doch in ihren Ohren klang es aufdringlich und höhnend. Seit sie am Morgen aufgestanden war, schwindelte ihr, und in ihrem Kopf klang ein Rauschen.
»Lass mich in Frieden!«, stöhnte sie ungeduldig. »Siehst du denn nicht...«
Abbrechend würgte sie, wiewohl sie nichts im Magen hatte.
»Wollt Ihr mich schimpfen, wo ich doch meine Studien so eifrig treibe?«, rief Théodore gekränkt. »Ihr selbst habt mir gesagt, ich solle ein großer Gelehrter werden, und ebenso, dass ich Euch Anteil zu geben habe an dem, was ich lerne...«
»Mein Gott, halt endlich dein Maul!«, schrie sie, fühlte, wie die Hitze nachließ und stattdessen ein Zittern von den Zehen in den übrigen Leib hochstieg. Sie würgte und schmeckte bittere Galle.
Théodore aber beharrte auf seinem Recht. Indessen er sich sonst vor ihrer Stärke duckte, gewahrte er ihr Leiden ohne Mitleid. Prüfend schweifte sein Blick über ihre bleiche Gestalt, um hernach triumphierend auszustoßen: »Eine lange Unterredung hielt ich gestern mit Magister Jean-Albert über Champeaux und Roscelin. Wir wurden uns nicht einig, welchem Recht zu geben sei – ja, was zuerst existierte: das konkrete Seiende oder die Idee von diesem.«
Vor ihnen ausgebreitet lagen manch Buch und Pergamentrolle. Viel leichter als einst im Kloster ließ sich all das beschaffen – von Schreibwerkstätten, die in ganz Paris ihre Ware feilboten. Sophia starrte darauf, als wollte sie lesen. Aber der Geruch, der ihr in die Nase stieg, kratzte in der trockenen Kehle. Sie hüstelte, sie würgte erneut; sie erbrach schließlich die verdorbenen Reste des gestrigen Abendmahls über die Schriften.
Hernach vermochte sie es nicht einmal, sich dafür zu schämen. Entkräftet sank sie auf den Stuhl zurück.
»Sophia!«, rief Théodore entsetzt und vergaß Hohn und Trotz. »Seid Ihr krank? Soll ich Euch helfen? Was ist denn mit Euch?«
»Lass mich in Ruhe... lass mich einfach in Ruhe...«, stöhnte sie schwach.
Hastig stand er auf, trat zu ihr, legte prüfend seine Hand auf ihre Stirne – so wie er sie Gleiches bei Magister Jean-Albert hatte tun sehen.
»Wenn ich nur etwas von der Heilkunst verstünde...«, setzte er bedauernd an.
Sie stieß ihn fort.
»Halt’s Maul!«, schrie sie, ehe neuerliches Würgen sie packte. Sie schlug die Hände vor den Mund und lief nach draußen.
Sophia beschritt den alt vertrauten Weg vom Heim der Guscelins bis zum Königspalast, doch wohin sie
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