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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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daran. Kurz und bündig klang sein Befehl: Er verlangte vom Bischof, erneut die Ehe aufzulösen.«
    Ein schüchterner Dienstbote steckte den Kopf herein, bereit, die vorhin gerufenen Befehle auszuführen.
    »Jetzt nicht!«, schrie Frère Guérin ihn an.
    Der Page verschwand – Sophia zuckte an seiner statt zusammen. »Aber das kann er nicht, er hat doch eben dem Papst...«
    »Er kann es! Glaubt mir, er kann es!«, rief Frère Guérin, und sein Wüten schien die ganze Burg zu erschüttern. »Einst hat man die Ehe für nichtig erklärt. Nun ist die Ehe wieder gültig – allein die Vorwürfe von einst, dass nämlich der Bund nicht vollzogen und Isambour verhext wäre, stehen noch. Darum will Philippe sich diesmal mit Fürsprache des Reimser Bischofs direkt an Rom wenden, um ein zweites Mal die Ehe anzufechten. Er sieht zwar den Fehler ein, den Papst erst nachträglich um Zustimmung gebeten zu haben, aber begeht erneut jenen zu denken, dass es ihm zusteht, seinen Willen durchzusetzen – und dauere dies Jahrzehnte.«
    »Aber... aber wie kann er in dieser...«
    »Er hat mich gedemütigt!«, fiel Guérin ihr schneidend ins Wort. »Hinknien musste ich mich vor ihn, doch anstatt mich nach wenigen Augenblicken wieder aufstehen zu lassen und einzig der Form Genüge zu tun, hat er mich diesmal so lange ausharren lassen, bis ich das Blut nicht länger in meinen Beinen fühlte.«
    Sophia hoffte inständig, er möge leiser toben – der König konnte nicht weit sein, und die Königin...
    »Was wird nun mit Isambour geschehen?«, fragte sie unbehaglich. Sein aufgelöster Anblick war ihr fremd.
    »Étampes«, sprach Frère Guérin nun leiser, und das schwarze Gewand wogte. »Er schickt sie nach Étampes. Dort ist kein Kloster, sondern eine Burg – viel kälter und finsterer als diese hier. Dem schlimmsten Feinde sei solch grässliches Gefängnis nicht gegönnt. Und der König weiß genau, was er tut. All jene, die die Ehe gutheißen, sollen in die Knie gezwungen werden. Wenn sie dort langsam vermodert und verdirbt, denkt er, werden sich alle, selbst der Papst, seinem Willen beugen – und sei’s nur aus Mitleid für sie. Er ist geduldig – er gibt der Sache Jahre und hat es in seine Berechnung aufgenommen, dass sie in strenger Haft vielleicht auch stirbt.«
    Erneut öffnete sich die Tür, doch diesmal wehrte Frère Guérin die Pagen nicht ab. Sie deckten den lang gezogenen Tisch und brachten wohlduftende Speisen: mit Koriander gewürzte Schnepfen und Huhn, das in Weinraute gegart worden war, Auerhahn mit einer Fülle aus Gartenmohn und Bärenschinken in einer Honigkruste. Als Nachtisch schließlich in Mandelmus getränktes Weißbrot und gesüßten Rahm.
    Als Sophia die edlen Gerichte roch, spürte sie nichts anderes als Übelkeit. Sie war keine Asketin, aber sie bevorzugte – Isambours Hochzeitsbankett ausgenommen, da der Hunger sie überwältigt hatte – das Einfache. Nie konnte sie sich in Bertrands Haus mit dem feinen Weizenbrot anfreunden – stets bevorzugte sie das grobkörnige Roggenbrot, das sie aus Kinderzeiten kannte.
    Indes die Dienstboten umherhuschten, wandte sie sich um und versuchte, dem noch kühlen Raum zu entkommen. Was gab es auch zu alledem zu sagen?
    Guérins Stimme aber – nicht nur voll Wut, sondern voll Herrschsucht – hielt sie auf, als wolle er zumindest ihr den Willen aufzwingen, wohingegen die Welt sich dem des Königs beugte.
    »Bleibt!«, rief er ihr nach. »Ihr sollt bleiben!«
    Er trank viel, indessen es vom Ofen glühend warm in den Raum strahlte. Anfangs war es angenehm, nicht mehr zu frösteln – später begann Sophia zu schwitzen.
    Es war kein Wasser da, um ihren Durst zu löschen, nur jener gesüßte Wein, den Frère Guérin in großen Schlucken in sich hineinschüttete. Sie nahm davon und fühlte sich schwindeln, als draußen die letzten Sonnenstrahlen verglommen.
    Als sie sich nach einigen Stunden erhob, drehte sich der Raum und wurde zugleich viel kleiner als während des bangen Nachmittags.
    »Bleibt!«, tönte es fordernd erneut von ihm. Von den Speisen roch es nicht mehr frisch, sondern ranzig.
    »Warum sollte ich?«, gab sie zurück. »Ihr sprecht ja doch kein Wort!«
    »Ihr habt mir damals vorgemacht, Isambour sei schweigsam, aber nicht verrückt. So harrt an meiner Seite aus!«
    Sie wagte nicht, ihn zu verlassen, aber umrundete ihn mit großem Abstand. »Dass ich Euch wie all die anderen belogen habe, mag ein Unrecht gewesen sein. Und das, was sich an dieses Ereignis reihte,

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