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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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ansonsten stets behände und leichtfüßig ging, schien sie heute den schweren Leib schleifen zu müssen. Die weiße Haube lag wie Blei um ihr Gesicht, während die Sonne brütete und aus Paris einen Kessel machte, in dem verfaulte Zutaten stinkend köchelten. Wie Öfen sammelten die Häuser Hitze und gaben sie noch in der schwarzen Nacht frei.
    Mehrmals blieb Sophia stehen, die schwarzen Punkte fürchtend, die wie Mücken in den Augen stachen – als Vorbote jener Ohnmacht, in die sie so gerne gesunken wäre. Welch Labsal versprach ihr die gnädige Dunkelheit! Und zugleich welchen Schrecken!
    Denn wenn man sie ertappte – vor allem in des Gatten Haus –, so würden kundige Augen, und sei’s das eine der wachsamen Isidora, gewiss ihren Zustand erraten. Sie musste Frère Guérin erreichen, noch ehe alle Welt darüber Kenntnis besäße!
    Sie kämpfte sich durch das rege Treiben auf der Seinebrücke und war zugleich blind dafür. Weder nahm sie die Geldwechsler wahr, noch den Goldschmied, der an seinem Amboss arbeitete, noch den Lastenträger, der eine Schubkarre füllte. Beinahe stolperte sie über eine Bettlerin, die um Almosen flehte, doch die bösen Worte, die jene ihr nachrief, weil sie sie am Bein gestoßen hatte, hörte sie nicht. Sie gewahrte nur erleichtert, dass sie endlich ihr Ziel erreicht hatte.
    Man ließ sie sofort zu Frère Guérin vor, weil sie trotz Aufgedunsenheit ein vertrautes Gesicht war. Wiewohl er sie seit jenem Abend in Soissons nicht wieder zu sich gebeten hatte, war niemand erstaunt, dass er ihrer heute bedurfte. Ein verwunderter Seitenblick traf sie vielleicht, weil sie nicht flink und aufrecht wie ansonsten schritt, sondern wankend und schwerfällig, als wäre das Kind, das sie trug, so schwer wie ein erwachsener Mensch.
    Vielleicht ist das so, dachte sie ermüdet, weil es in Sünde gezeugt wurde. Vielleicht war das kleine Menschlein, welches in Guérins Samen gehockt war und sich nun in ihrem Leib festgebissen hatte, um dort zu wachsen, dazu verflucht, als Krüppel oder Epileptisches geboren zu werden, so wie man es der Leibesfrucht nachsagte, die aus Ehebruch hervorging.
    Als sie vor Frère Guérin stand, so hatte sie ob all des Schleppens und Humpelns und Schwitzens beinahe die Worte vergessen, die sie ihm hatte sagen wollen. Sie wartete gar nicht erst auf seinen Gruß – hoffte nur, er möge ihr kühlendes Wasser reichen.
    Er tat weder das eine noch das andere.
    »Ich habe gehofft«, sprach er murrend und duckte sich unbehaglich, »ich habe gehofft, Ihr würdet so viel Anstand besitzen, mir nie wieder vor die Augen zu treten.«
    Sie brach zusammen, lag alsbald auf ihren Knien. Der Schwindel erstarb, allein das Rauschen in den Ohren ließ nicht nach. Sein bloßer Blick schien es zu zeugen, so überdrüssig, so angewidert – und so beschämt.
    Sie blickte von unten hoch, aber selbst so schien er nicht der groß gewachsene, beherrschte Mann zu sein, den sie kannte, sondern ein armseliger Schatten, der sich vor jedem Licht duckt und windet.
    »Ihr müsst mir helfen... bitte, Ihr müsst mir helfen!«, stotterte sie, gewiss, dass er, der gut im Beobachten war, ihren Zustand von selbst erkennen würde.
    »Steht auf!«, zischte er. »Wie wär’s für mich beschämend, würde man ein Weib wie Euch hier hocken sehen – vor mir, dem engsten Berater des Königs!«
    Sie kniete wie ein Vieh – die Hände auf den Boden gestützt. »Ich dachte, ein solcher wollt Ihr nicht mehr sein!«, brachte sie hervor. »Habt Ihr nicht mit Eurem Amt gehadert – das letzte Mal, da ich Euch sah?«
    »Oh, wollt Ihr nur schweigen!«, murrte er. »Ich gebe niemals auf, was ich hier habe. Ist erst die Sache um Isambour ausgestanden, so wird der König mir wieder vollends vertrauen. Ihr aber schert Euch fort – erinnert mich nicht an die schwache Stunde!«
    Sie öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass sie schwanger ging, dass das Kind nur von ihm sein könne, nicht von Bertrand, denn jener hatte sie nie berührt. Doch ehe sie zu sprechen ansetzen konnte, erstarb unter seinem angespannten, widerwilligen Blick jegliches vernünftige Wort, schien im Vorhinein verurteilt und auf taube Ohren zu stoßen.
    Hieda löste sich nichts weiter aus ihrer Kehle als ein spitzer, verzweifelter Schrei. Sie hatte nicht geahnt, dass sie solchen Laut zeugen konnte.
    »Lieber Himmel, Sophie de Guscelin!«, rief Frère Guérin dagegen an. »Warum gebärdet Ihr Euch wie ein irres Weib? Das steht Euch nicht! Das seid nicht Ihr!«
    Er

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