Die Chronistin
sprach nicht unrecht. Sie fühlte sich wie in fremder Haut, seit sie das Kind trug. Sie hatte doch so genau berechnet, was und wie sie es ihm sagen wollte, doch nun schaffte sie erneut nichts anderes, als den spitzen Schrei auszustoßen und hernach zu plärren: »Schickt mich nicht fort! Schickt mich bloß nicht fort! Ich brauche Euch!«
Er sah sie nicht an; er verzichtete auf seine Gabe zur genauen Beobachtung. Er wollte gar nicht erst wissen, was hinter dem aberwitzigen Gebaren zu erahnen stand.
»Was denkt Ihr, wen Ihr vor Euch habt?«, klang es geifernd. »Ich bin ein Mann Gottes, ich trage Verantwortung für ein Königreich! Verlangt von mir nicht Sorge für ein Weib, das irrsinnig geworden scheint, wiewohl es sich bislang doch stets als kluge Frau erwiesen hat. Wollt Ihr Isambours Schwachsinn nacheifern?«
Wieder ging der einstigen Sophia durch den Kopf, dass es klüger wäre, bedacht zu sprechen, aber der Dämon, der sie in Besitz genommen hatte, konnte nicht aufhören zu schreien, zu weinen, zu flehen.
»Bitte! Sprecht nicht so! Ihr wart es doch, der sich an mich geklammert hat an jenem Abend von Soissons! Nicht ich habe Eure Gesellschaft erwählt, sondern Ihr habt mich nicht gehen lassen!«
Er presste sich an die Wand, wiewohl sie noch an gleicher Stelle hockte, an der sie niedergesunken war. »Es war ein Fehler!«, rief er nicht ohne Verzweiflung und von der Erinnerung an eigene Schwäche noch mehr angewidert als von ihr. »Es war ein Fehler – und eine schlimme Sünde. Gebe Gott, ich hätte mehr Beherrschung gezeigt! Gebe Gott, ich hätte mich niemals hinreißen lassen, so viel Wein zu trinken! Gebe Gott, Ihr wärt niemals in mein Leben getreten!«
Ihr ging auf, dass er die gleichen Worte gesprochen hätte, auch wenn er um ihre Schwangerschaft wüsste. Nutzlos war es, sie ihm jetzt zu verraten. Sie konnte keine Worte mehr finden, nur wieder dieses Schreien, das sie ein einziges Mal nur in gleicher Weise gehört hatte, und damals war es aus Isambours Mund gekommen. Nun, da das eigene Wüten sie so vollends beherrschte, war es beinahe angenehm, ihm nachzugeben. Nicht länger träge und schwer fühlte sie sich, als sie aufsprang, vor seinen Füßen erneut nach vorne kippte und sich an seine Hände klammerte.
Nun schrie auch er. »Ihr müsst gehen! Ihr müsst gehen!«, trat es ein ums andere Mal über seine Lippen, und als es nichts fruchtete, rief er Wachmänner herein.
Sie hörte sie kaum kommen, war einzig versessen, ihm den Schmerz, den seine Worte ihr bereiteten, mit gleicher Wucht heimzuzahlen. Sie stand auf, starrte – nun fast auf gleicher Augenhöhe – in sein ablehnendes Gesicht, hob die Hand, um es zu schlagen, um ihn wachzurütteln, um ihm die Wahrheit über ihren Zustand einzuprügeln.
Doch ihre Faust traf seine feine, blasse Haut nicht. Schon hatten die Wachmänner sie erreicht, erkannten mit mitleidlosem Blick, dass dieses Weib wohl irr geworden war, und rissen sie von Frère Guérin zurück. Sophia fühlte kaum, wie ihre Knie wieder nachgaben und sie durch die Gänge bis nach draußen geschleift wurde.
Dort blieb sie liegen, als hätten sich Verzweiflung und Jähzorn nie laut und machtvoll ihre Bahn brechen können. Zwar brannte es in ihren Eingeweiden, und ihre Augen waren blind vor Tränen, aber Gram und Wut entluden sich nicht mehr in Geschrei.
Sie beugte sich auf die dreckige Straße und erbrach sich ein zweites Mal an diesem Tag – zähe, schleimige Flüssigkeit, die sich als dünner Faden mit dem Dreck der Straße vermengte.
Blicklos starrte sie darauf, dachte daran, dass jeder Gatte das Recht hatte, eine Ehebrecherin zu töten.
Die schlimme Geschichte der schönen Elisabeth de Vermendois war bis heute in Paris im Umlauf. Nachdem sie vom eifersüchtigen Gatten überrascht wurde, als sie mit dem schönen und tapferen Ritter Gautier de Fontaines im Bett lag, schlug dieser den Liebhaber blutig und hängte ihn so lange mit dem Kopf nach unten über eine Kloake, bis der Unglückliche elendiglich an den Dämpfen erstickte. Das Eheweib aber erwürgte er ohne Mitleid.
Mühsam wischte sie sich den Mund ab.
Wenn Bertrand von dem Kind erfährt, dachte sie in der Gosse liegend, und davon, wie es entstanden ist, wird er es nicht wagen, den engsten Berater des Königs zur Rechenschaft zu ziehen. Aber kein Recht der Welt gibt es, das mich vor ihm schützt. Er kann mir Gewalt antun, er kann mich zu Tode bringen. Ich... ich bin verloren.
Sophia riss die verbotenen Türen auf. Von
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